DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Die Münchener Neue Secession 1927
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0014
Die Münchener Neue Secession 1927
J. W. SCHULEIN—MÜNCHEN
die 105 Nummern umfaßt, das malerische Ge-
samtschaffen dieses großen Zeichners vom Jahre
1885 an; ein Schaffen, das niemals den Weg
in die breitere Öffentlichkeit fand, obschon es
sich, wie man hier sieht, lange Zeit hindurch in
Fühlung mit den künstlerischen Parolen des
Tages gehalten hat. Sieht man seine feinsten
impressionistischen Schilderungen wie den
„Sonnigen Wirtsgarten" von 1890 oder das
„Mädchen am Fluß" von 1892, so möchte man
urteilen, daß die Zeitgenossen hier eine wert-
volle Leistung übersehen hätten. Aber bei
näherer Betrachtung muß man zugeben, daß die
Malerei niemals ein zentraler Ausdruck dieser
starken Persönlichkeit gewesen ist. Sie hat für
ihn die Rolle eines idyllischen Landaufenthaltes
gespielt, die Rolle einer Entspannung von der
Kritik; sie hat aber nie den ganzen Umriß dieses
Geistes geben können, für den das Sehen und
das Empfinden von Kontrasten eben doch
höchst charakteristisch war. Es gibt durchaus
eine positive und warme Seite in Heines Wesen,
aber sie zeigt sich nur da in ihrer wahren Ge-
stalt, wo sie an die bittere Kritik grenzt. Seiner
»STRASSE AUF MONTPARNASSE«
ganzen Kritik liegt ein Sinn für das Positive
zugrunde (wie es bei jeder großen Kritik der
Fall ist), aber er kann und darf dieses Positive
nur in der Kontrastwirkung zum Negativen
zeigen. Im malerischen Ausdruck bringt er nie
die beiden Seiten seines Wesens so zusammen,
wie es jede seiner besseren Karikaturen leistet.
Zwischen Natur und Menschenwelt liegt nun
einmal für ihn ein Riß; er ist ein Mensch des
Widerspruchs, und seine Malerei kann diesen
Widerspruch nicht vollwertig darstellen, wird
also dem vollen Umfang seiner Persönlichkeit
nicht gerecht. Aber für eine Reihe von detail-
lierteren Aufschlüssen über Heines innere
Struktur wird man dieser Kollektivausstellung
aufrichtig dankbar sein.
Erfreulich ist es im übrigen, eine ganze Reihe
von bekannten Mitgliedern der Neuen Secession
in rüstigem Vorwärtsschreiten zu sehen. Das
will sagen, daß man keinen der bereits Arrivier-
ten auf der erreichten Stufe des Könnens aus-
ruhen und sein Lager aufschlagen sieht. So
verzeichnet man ein strebendes Weitergehen
bei Julius Heß, der seine vom Grau sich los-
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J. W. SCHULEIN—MÜNCHEN
die 105 Nummern umfaßt, das malerische Ge-
samtschaffen dieses großen Zeichners vom Jahre
1885 an; ein Schaffen, das niemals den Weg
in die breitere Öffentlichkeit fand, obschon es
sich, wie man hier sieht, lange Zeit hindurch in
Fühlung mit den künstlerischen Parolen des
Tages gehalten hat. Sieht man seine feinsten
impressionistischen Schilderungen wie den
„Sonnigen Wirtsgarten" von 1890 oder das
„Mädchen am Fluß" von 1892, so möchte man
urteilen, daß die Zeitgenossen hier eine wert-
volle Leistung übersehen hätten. Aber bei
näherer Betrachtung muß man zugeben, daß die
Malerei niemals ein zentraler Ausdruck dieser
starken Persönlichkeit gewesen ist. Sie hat für
ihn die Rolle eines idyllischen Landaufenthaltes
gespielt, die Rolle einer Entspannung von der
Kritik; sie hat aber nie den ganzen Umriß dieses
Geistes geben können, für den das Sehen und
das Empfinden von Kontrasten eben doch
höchst charakteristisch war. Es gibt durchaus
eine positive und warme Seite in Heines Wesen,
aber sie zeigt sich nur da in ihrer wahren Ge-
stalt, wo sie an die bittere Kritik grenzt. Seiner
»STRASSE AUF MONTPARNASSE«
ganzen Kritik liegt ein Sinn für das Positive
zugrunde (wie es bei jeder großen Kritik der
Fall ist), aber er kann und darf dieses Positive
nur in der Kontrastwirkung zum Negativen
zeigen. Im malerischen Ausdruck bringt er nie
die beiden Seiten seines Wesens so zusammen,
wie es jede seiner besseren Karikaturen leistet.
Zwischen Natur und Menschenwelt liegt nun
einmal für ihn ein Riß; er ist ein Mensch des
Widerspruchs, und seine Malerei kann diesen
Widerspruch nicht vollwertig darstellen, wird
also dem vollen Umfang seiner Persönlichkeit
nicht gerecht. Aber für eine Reihe von detail-
lierteren Aufschlüssen über Heines innere
Struktur wird man dieser Kollektivausstellung
aufrichtig dankbar sein.
Erfreulich ist es im übrigen, eine ganze Reihe
von bekannten Mitgliedern der Neuen Secession
in rüstigem Vorwärtsschreiten zu sehen. Das
will sagen, daß man keinen der bereits Arrivier-
ten auf der erreichten Stufe des Könnens aus-
ruhen und sein Lager aufschlagen sieht. So
verzeichnet man ein strebendes Weitergehen
bei Julius Heß, der seine vom Grau sich los-
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