Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

DOI Artikel:
Tietze, Hans: Wiener Kunstschau 1927
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0079

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
WIENER KUNSTSCHAU 1927

Es ist seltsam, wie in Wien alle kulturelle Be-
mühung alsbald ins Retrospektive um-
schlägt; anderwärts verkünden Stürmer und
Dränger mit prahlerischen Worten, was sie
morgen tun werden, hier, in dieser müden Stadt,
verweilen auch die Fortschrittlichen mit be-
sonderer Vorliebe bei dem, was sie vorher
geleistet haben. Den Katalog der diesjährigen
Kunstschau, die in den Räumen des österreich-
ischen Museums für Kunst und Industrie statt-
findet, leitet eine regelrechte historische Be-
trachtung über die bisherige Tätigkeit der
Künstlergruppe ein, die mit Klimt die Sezession
gründete, mit ihm aus ihr austrat und seit seinem
Tode die Erinnerung an den dahingegangenen
Führer als Fahne führt. Die rückblickende Ge-
sinnung, die sich in dieser Selbstbespiegelung
verrät, entspricht dem lähmenden geistigen
Druck, der über Wien liegt und entspricht einer
gewissen Ermüdung der Künstler, die nach so
vielen Angriffen und Anläufen immer wieder
die gleiche kompakte Mauer des Unverständ-

nisses und der Feindseligkeit sich gegenüber-
sehen; sie entspricht jedoch nicht ganz dem
Geist der Ausstellung, in dem für den aufmerk-
samen Betrachter zwei entgegengesetzte Be-
strebungen zusammenlaufen.

Der beherrschende Genius der Kunstschau-
gruppe ist der Glaube an die Vorrechte der
schöpferischen Kräfte, die Überzeugung von
den unzerstörbaren Lebensrechten der künstle-
rischen Leistung. In dieser Andacht zur Kunst
— dem wahrhaften Erbe Gustav Klimts — lag
die Stärke und die Schwäche der Bewegung.
Das Streben nach steter Steigerung der Qualität,
nach einer nie endenden Verfeinerung des Ge-
schmacks, nach einem Kult des Erlesenen und
Ungewöhnlichen; gleichzeitig der Hang zum
Spielerischen, die Vorliebe für das Raffinierte,
Exotische, Lebensferne, die verhängnisvolle Ver-
ankerung des Kunstgewerblichen im Überflüs-
sigen. Der Stil der Kunstschau war die feinste
Blüte einer auf höchsten Luxus gerichteten Be-
mühung ; seine Verwirklichung war an das Vor-
 
Annotationen