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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Josephson, Ragnar: Bildnisse von Ivar Kamke
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Frank, Willy: Die Zeitgebärde
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0144

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Bildnisse von Ivar Kamke

der genialen Leitung Augustin Hanicottes.
— Am Ende seiner Reisezeit kam er auch unter
den Einfluß der beiden großen Deutschen Hans
von Marees und Leibi. Nach seiner Rück-
kehr in die Heimat wurde er ein gesuchter Por-
trätmaler, besonders geschätzt in der Geburts-
und Börsenaristokratie, sodaß seine Geschick-
lichkeit, seine Eleganz und seine weltmännische
Art Gelegenheit hatte, sich auszuwirken.

Die hier vorgeführten Bilder geben eine kleine
Auswahl der reichen Produktion repräsentativer
Porträts, bisweilen mit einem Abglanz von
Georg von Rosens feiner Charakterisierungs-
kunst, mitunter Zorns artistische Noblesse und
malerisch frische Darstellung reflektierend.

Das kraftvolle Bild von B. A. Hjort, einem
bedeutenden Industriellen finnischer Herkunft,
gehört zu den stärksten seiner Charakterisie-
rungskunst. Das Modell hat ihn hier zu einer
gewissen Härte der Technik, welche Kamke
sonst nicht eigen ist, inspiriert.

Das stattlich und natürlich aufgebaute Por-
trät von Konsul A. Federer ist nahe influiert

von Zorn — man beobachte nur die malerisch
frische Stoffbehandlung oder die typisch Zorn'-
sche Stellung mit der Zigarette zwischen den
Fingern. Es besitzt aber auch persönliches Ge-
wicht als Darstellung eines stattlichen germa-
nischen Typus.

Auch in seinen andern Bildnissen kann man
Kamkes Interesse für die Eigenart des Modells
beobachten. So z. B. in einem etwas trockenen
aber festen Bildnisse des Psychiaters, Dr. Harald
Fröderström, dem summarisch in Schwarz und
Blutrot gehaltenen Bildnis eines jüdischenFinanz-
mannes, des Großkaufmannes John Josephson.
Ferner in einer eleganten Darstellung seiner
Königl. Hoheit des Prinzen Carl von Schweden,
in dem mondänen Porträt eines schwedischen
Edelmannes, des Rittmeisters Baron W. v. Essen,
in blaßblauer Uniform gegen rotbraunem Hinter-
grund. Als wirklicher Charmeur zeigt sich Kamke
schließlich im Bilde seiner Frau, einer deutschen
Künstlerin. In Blick, Bewegung, Duft und An-
mut ist dies helle Frauenbild bezaubernd. —

DK. RAGNAR JOSEl'HSGN UNIVEKSITÄT UPSAI.A.

DIE ZEITGEBÄRDE

Es ist sehr hübsch, bei der Lektüre zurück-
liegender Dichtungen darauf zu achten, wie
genau die Stilisierung der Dichtung sich mit
der Stilisierung in den zeitgenössischen Kunst-
werken deckt. Geht man diesen Zusammen-
hängen nach, so wird man nicht nur Vergnügen,
sondern auch eine wertvolle Bereicherung der
Einsicht, insbesondere ein klareres Stilverständ-
nis davontragen.

So füllt sich z. B. das Bild der Eichendorff-
schen Lyrik auf ganz überraschende Weise, wenn
man die Gemälde eines Schwind daneben hält.
Der leichte Schritt des fröhlichen Wanderns,
die geschwungenen Hüte der fahrenden Spiel-
leute, das Grüßen zu den holden Mägdlein in
den Lauben hinüber, das Rückwärtsblicken vom
Berg ins stille Wiesental — der Maler und der
Dichter zeigen beides, aber das Wesentliche
ist, daß der Maler und seine Malerei tatsäch-
lich ganz eingeschlossen sind in den Zeitstil, der
auch den Dichter beherrscht. Das heißt: Der
Maler gibt ein Etwas in die Anschauung hinein,
das ohne sein Zeugnis fast nie mehr zu rekon-
struieren ist; er gibt das, was zwischen den
Zeilen des Zeitstils steht, die unwillkürliche,
selbstverständliche Gebärde der Zeit, ihr Sinn-
fälliges u. Eigentliches. Geht man durch Goethes
Dichtung, so stellt sich der äußere wie der innere
Stil seiner frühen Lieder und Dramen ohne wei-

teres fest durch einen Vergleich mit Stichen des
späteren Rokoko, während sich etwa der „Iphi-
genie" jene klassizistischen Zeichnungen und
Gemälde anreihen, in denen kühle, edle Linien
gehen und die Wahrheit des Lebens nur in
geistiger Dämpfung und Umwandlung erscheint.
So stellt sich Böcklin zu Wagner, A. v. Keller
zu Paul Heyse und Geibel, Uhde zum frühen
Gerhart Hauptmann. Stets hegt in dem zuge-
hörigen Bildner eine außerordentliche orientie-
rende Kraft; sie geht soweit, daß überall, wo
um Stilerkenntnis gerungen wird — also ins-
besondere in der Literaturgeschichte — die bil-
dende Kunst erst den Schlüssel zum Verständ-
nis geben kann.

So sind die Werke der bildenden Kunst Instru-
mente historischer Erkenntnis, Schlüssel zu den
Intimitäten ihrer Zeit, die ohne sie nur undeut-
lich wahrgenommen werden können. Denn das
Wort mit seiner außerordentlichen Affinität zum
menschlichen Geist deutet sich insgeheim in die
Sehweise des Lesenden herüber: wir üben bei
jedem Lesen eines älteren Textes zugleich ein
unwillkürliches Übersetzen in die uns entspre-
chende Anschauung. Das Kunstwerk aber hält
die abgegrenzte Einzigkeit der Zeitgebärde
sinnfällig unzweideutig fest und hilft uns, das
Fremde oder Vergangene in seinen bestimmten
Lebenszügen zu erkennen......willy frank.
 
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