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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Warstat, Willi: Wiedergeburt des deutschen Lichtbildes: zum Mimosa-Wettbewerb der Gesellschaft deutscher Lichtbildner
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0150

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Wiedergeburt des deutschen Lichtbildes

der Erziehung zu kunsthandwerklichen Höchst-
leistungen, die aus dem Stilgefühl unserer Zeit
geboren sind und ihm auch die etwas spröde
photographische Technik fügsam machen.

Aus solchen und ähnlichen Gedanken heraus
wurde im Jahre 1919 die „Gesellschaft
Deutscher Lichtbildner" (G.D.L.) ins Leben
gerufen. Sie vereint heute einen Kreis der
tüchtigsten deutschen Photographen, welche
im Sinne des Werkbundgedankens, auf dem
Boden ihrer handwerklichen Technik und der
Zeit stehend, vorbildlich für andere arbeiten,
weil sie rastlos an sich selber arbeiten. Hebung
der berullichenLeistung in ideellemWettbewerb
mit den tüchtigsten Fachgenossen, Erprobung
und Schulung der Kräfte an immer neuen Auf-
gaben, strengste gegenseitige Kritik, aber auch
strengste Selbstkritik, bei aller Wahrung der
Individualität eines jeden einzelnen, sind die
Wege, welche zur Erreichung des ideellen Zieles
führen sollen. So sind die Jahresausstellungen
der Gesellschaft, deren Aufnahmejury jedes
Mitglied regelmäßig eine Anzahl neuer Arbei-
ten vorzulegen hat, stets eine besonders be-
zeichnende Schau über das, was die deutsche
Lichtbildnerei im Augenblick zu leisten fähig
ist. Mitglieder, deren Arbeiten 2 Jahre hinter-
einander von der Jury der Gesellschaft zurück-
gewiesen werden, scheiden automatisch aus.

In Anerkennung der Bedeutung, welche die
Gesellschaft Deutscher Lichtbildner als repräsen-
tative, ideellen Zielen gewidmete Berufsorgani-
sation besitzt, hat die Mimosa A G. in Dresden
die Durchführung ihres großen, für vier Jahre
berechneten 12000 Mark-Preisausschreibens
„zur Hebung des künstlerischen Niveaus der
deutschen Berufsphotographen" in deren Hände
gelegt. Für das Jahr 1927 stand der Wett-
bewerb lediglich Mitgliedern der Gesellschaft
offen, und die Einsendungen dafür bildeten das
Herzstück der Jahresausstellung, welche am
22. Mai ds. Js. in Godesberg der Öffentlich-
keit zugänglich gemacht wurde, um dann von
einem Kunstgewerbemuseum ins andere, von
Berufsverein zu Berufsverein, von Innung zu
Innung zu wandern und dort anregend und
befruchtend zu wirken.

Die hier wiedergegebenen Arbeiten aus dem
Wettbewerb, namentlich die der Preisträger
Hugo Erfurth-Dresden, Franz Grainer-
München, Richard Gerling-Duisburg, Erich
Angenendt-Dortmund und Franz Fiedler-
Dresden, geben eine anschauliche Vorstellung
von dem, was die deutsche Bildnisphotographie
heute technisch und künstlerisch zu leisten ver-
mag; vor allem aber davon, in welcher Weise

jede einzelne schaffende Persönlichkeit auch der
noch immer als mechanisch und daher unkünst-
lerisch verschrienen photographischen Technik
ihren eigenen Stempel, ihre eigene, unverkenn-
bare Handschrift, ihren eigenen Stil aufzu-
drücken vermag.

Die ruhige Kraft, die großzügige, dekorative
Linienführung, die starke Spannung der tonigen
Flächen, die fast rücksichtslose Strenge der
Charakteristik, sind Wahrzeichen, durch die sich
sowohl die Männer-, wie auch die Frauenbild-
nisse Erf urth s sofort für die Kenner aus tausend
anderen hervorheben. Hier hat die „neue Sach-
lichkeit" ihre vollendete photographische Form
erhalten. Die „Lichtphantasie" Erfurths (S. 150)
ist ein Versuch rein dekorativer Gestaltung
mit Hilfe abstrakter Linien. Franz Grainer
dagegen weiß dem Bildnis der eleganten Dame
den Reiz der vollendeten Kultur zu geben. Seine
Bilder stellen die rassige Linie der Glieder, den
diskreten Geschmack der Kleidung ebenso gut
heraus wie die süße Weichheit des Fleisches
und die tonige Plastik der Formen. Im Bildnis
Professor Sauerbruchs aber wird die Lichtführ-
ung und Lichtwirkung dazu verwendet, um trotz
aller tonigen Weichheit in der Formgebung die
gespannte Geistigkeit des Gelehrten zu charak-
terisieren. Angenendts Flaschenstilleben will
als Meisterstück impressionistischer eingestell-
ter Technik gewertet werden. Die duftigen
Reize des Lichtes, der Luft, der Materie weiß
er stets famos zu sehen und zu fassen. Franz
F i e d 1 e r ist vielleicht der ideen- und wandlungs-
reichste unter den deutschen Lichtbildnern. Im
Bildnis und im kombinierten Figurenbild so-
wie in der Landschaft bewegt er sich mit gleich
origineller Auffassung, starkem Wollen und
Reichtum der Phantasie. Wenn auch manchen
seiner Arbeiten der Stempel höchster techni-
scher Vollendung fehlt, so ist sein hier wiederge-
gebenes Bildnis des Radierers Gelbke doch eine
seiner besten Leistungen, gleich überzeugend
durch Kraft der Auffassung und des Ausdrucks
wie durch die souveräneHandhabung derGegen-
licht-Techiiik. Die behäbige Gemütlichkeit im
Herrenbildnis Gerlings, verbunden mit einer
befriedigenden Aufteilung des Raums, ist ebenso
wie die stolze Ruhe, welche sich in der schön
geschwungenen Umrißlinie des Damenbildnisses
von Erich Böhm-Stolp ausdrückt, oder die ge-
spannte Nervosität, die aus der Haltung der
Tänzerin Pawlowa bei Carry Hess-Frank-
furt a. M. spricht, ein Beweis dafür, daß ein-
dringliche Charakteristik mit Hilfe der einfach-
sten Mittel als letztes und höchstes Ziel unsern
Lichtbildnern vor Augen schwebt, dr w.warstat.


 
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