Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

DOI Artikel:
Einstein, Carl: Giorgio de Chirico
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0271

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
»SELBST-
BILDNIS«
MUSEUM
ESSEN

GIORGIO DE CHIRICO

Chirico ; ein Rückschlag gegen Comte und
den italienischen Liberalismus; gegen
Courbet und demokratischen Luminarismus.

Chirico gibt die Gesichte einer geträumten
Mathematik; Cezanne schuf eine koloristische
Tektonik, Picasso fand einen neuen, durchaus
konkreten Bildraum, Chirico — in sekundären
Bezirken wohnend — dichtete etwa eine tek-
tonische Mantik.

Nennen wir zwei Namen, die Chiricos Situ-
ation ungefähr bezeichnen: Böcklin und Schopen-
hauer'scher Pessimismus oder rückgewandter
charakterisiert: Ucello und die Alchemie. Man
wohnt zwischen Florenz und dem Metro und
träumt zwischen Paracelsus und Lautreamont.

Chirico ging, wie die meisten jungen Italiener,
in die Archaik zurück; er liebt die frühen magi-
schen Dinge der Kunst vor Reformation und
Gegenreformation. Gegen die eigenen subjek-
tiven Gesichte stellt er eine etwas abrupte und
darum widerspruchsvolle Historie..........

Bei Cezanne dienten Kegel, Würfel und Drei-
eck als tektonische Mittel; bei Chirico gehorchen
sie einer mythischen und mantisch dichtenden
Leidenschaft. Eines stellt Chirico in die Linie von
jetzt: die tektonische Art seiner Träume. Die
Romantik von heute liegt vielleicht in einer Über-
steigerung der noch ungenau begriffenen Zahlen.
Die Quanten der Wissenschaft — diese Dicht-
mittel intuitiver Vernunft — beginnen nun von
den Künstlern verzaubert zu werden. Doch hier
besitzt die Zahl nur einen Sinn, wieweit sie zur
Gestalt gedichtet wurde. Solches stellen wir bei
den bildenden Künsten fest, während das meiste
an heutiger Literatur zwischen pathologisiertem
Dahn und einer Flucht von ergrauten Schlag-
worten dämmert. Nur Wenige kennen das Ge-
heimnis der frei verknüpften Analogien.

In der Malerei ahnt man, daß die Norm
durchaus die Natur des Menschen ist und ihm
als unvermeidliche Intuition zugehört. Genau,
wie man Knochen im Leibe hat...........

XXXI. Januar 1928. 2
 
Annotationen