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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 61.1927-1928

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Wenzel, Alfred: Erlebnis-Verdichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9249#0398

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Erlebnis- Verdichtung

Er verlangt Kürze und Prägnanz. Im Bereich
des Halbkünstlerischen wird dies am deut-
lichsten: dieexakte „Step"-Nummerderdancing
girls löste die Pantomime ab; die Synkope des
Jazz ward siegreich. Aber auch das knappe
Buch, — sagt man nicht oft, daß Th. Mann's
„Zauberberg" eine Art lexikalischen Compen-
diums sei? Die Lektüre wird mehr und mehr
die „little story" der Magazins bevorzugen. —
Sollten wir nicht annehmen, daß bei solcher
Disposition die Bildkunst in der nächsten Zu-
kunft vor den anderen Künsten rangieren werde:
als die Vermittlerin eines Erlebnisses, welches,
unter den geschilderten Voraussetzungen, am
ehesten noch Kunstwerten zur Wirkung verhilft ?
Denn das Bild steht vor dem Beschauer, das
Erlebnis erwächst aus einem momentanen Über-
schauen. Die Erlebniswirkung ist nicht an einen
zeitlichen Ablauf gebunden, wie er für die Auf-
nahme eines literarischen oder musikalischen
Kunstwerks unerläßlich ist. Das Bild ist seinem
innersten Wesen nach die Form, durch welche

ein geistiger Gehalt die Möglichkeit augenblicks-
hafter Mitteilbarkeit gewinnt, also die Verdich-
tung erhält, die der moderne Mensch meint,
wenn er von „Konzentration" spricht.

Wenn Dichtung oder Musik diesen Forde-
rungen entgegenkommen wollen, so müssen sie
stets etwas aufgeben: indem sie nämlich ge-
zwungen sind, den zeitlichen Ablauf, von dem
ihre Wirkungen abhängen, zu beschneiden; sie
geraten dabei leicht vom Künstlerischen zum
bloßen Effekt. Liegt hier also die Gefahr einer
Minderung des Kunstwertes nahe, so scheint
anderseits die Bildkunst direkt prädestiniert
für die Erfüllung des modernen Anspruches.

Es wäre übrigens nicht verwunderlich, wenn
sie darum eine gewisse Präponderanz erhielte.
Die Rangordnung, in der die Küste dem auf-
nehmenden Menschen von Wert erfüllt scheinen,
wechselt stets im Wandel der Jahre. Es hat
„musikalische" Zeitalter gegeben, und es gab
Perioden, in denen die Literatur vor den ande-
ren Künsten bedeutend war.

DR. ALFRED WENZEL.

FACHKLASSE
PROF. REGER
»KERAMIK«

VEREINIGTE STAATSSCHULEN FÜR FREIE U. ANGEWANDTE KUNST—BERLIN
 
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