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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 3
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Arntz, Wilhelm: Kunst und Garten
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https://doi.org/10.11588/diglit.20974#0053

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uns das reinste und stärkste Daseinsge-
fühl. -

Ich sagte: Kunst ist der Ausdruck unseres
Verhältnisses zu den'Dingen in ihrer Erscheinung.
Also nicht das Verhältnis selber und nicht das
Empfinden an sich. Kunst besteht vielmehr
darin, in der Fantasie die Erscheinung (dies
Wort mit allen Konsequenzen der vorhin ge-
gebenen Definition!) zu ihrer (subjektiven)
reinen Idee zu erheben und dann in Zeit oder
Raum durch Kraft und Materie zu unmittelbarem
Ausdruck zu bringen. Da das Kunstwerk selber
wieder als Erscheinung vor uns steht und als
Erscheinung uns zum reinen und unmittelbaren
Eindruck wird, nicht nur isoliert, sondern als Teil
der Gesamtsituation und durch diese, — so muß
diese Erscheinung auch wieder Forderungen er-
füllen, die aus dem Wahrnehmungsakte selber
hervorgehen. Es genügt also nicht, eine Idee
für sich auszudrücken, sondern sie muß in solcher
Form ausgedrückt werden, daß sie unmittelbar
und angenehm in unsere Anschauung eingeht,
auch dadurch, daß sie harmonisch und klar in
der Situation vor uns steht, eine innige Einheit
mit der Gesamterscheinung bildet.

Es gibt noch soviele zarte, auch große
Künstler, die an dem allen fremd vorübergehen.
Und doch ist es im Grunde das Selbstverständ-
liche, daß der Wahrnehmungsvorgang,
durch den allein die Dinge für uns existieren,
die ausschließliche Basis bildet für Wesen und
Wert des Kunstwerkes, für die künstlerischen
Ziele und Probleme, — und daß die Wahrneh-
mung erfolgt in den beiden Elementen aller
Anschauung, in Raum und Zeit, daß mithin
die Eigenschaften und Erscheinungsgesetze von
Raum und Zeit höchste Bedeutung haben.

Der Erscheinung des Gegenstandes in Raum
und Zeit gilt die künstlerische Tätigkeit. Man
muß darum unterscheiden zwischen den allge-
mein menschlichen Eigenschaften eines Künstlers
(Hingabe, Innigkeit, Feinheit, Leidenschaftlichkeit,
Adel und Größe der Gesinnung und des Wollens
usw.) und seiner rein künstlerischen Begabung
und seinem Können. Die ersteren erhöhen wohl
den Wert seiner Leistungen, sind die treibende
Kraft für seine Tätigkeit, — aber sie machen sie
nicht aus. Die Gesinnungsgröße macht den
Menschen Michelang elo, den MenschenBeethoven.
Beider Bedeutung für die Kunst aber liegt
darin, wie sie als solche Menschen die Gesetze
des künstlerischen Gestaltens so unvergleichlich
m sich getragen haben. Ohne das hätte es
wohl große MenschenMichelangelo undBeethoven
a^9e_Den» aber wir hätten keine Sixtina, keine
Mediceerkapelle, keine Peterskuppel, wir hätten
Keinen Fidelio, keine neunte Symphonie und
keine Missa solemnis. -

Man spricht gewöhnlich von reiner und von
angewandter Kunst. Treffend sagt man viel-

leicht auch: Darstellen und Gestalten.
Die reine Kunst geht nur darauf aus, die Idee
einer Erscheinung in einer als Erscheinung ge-
sehenen Wirklichkeitsform darzustellen d. h.
wahrnehmbar zu machen, um ihrer selber willen,
ohne Absicht auf einen Zweck, nur für das Be-
stehen in der eigenen Erscheinung, mithin auch
ohne Rücksicht auf andere Subjekte als den
Schaffenden selber. (Man vergleiche hierzu die
treffliche Abhandlung von Moritz in Goethes
Italienischer Reise.)

Ihre Schwester, die sogenannte angewandte
Kunst, hingegen geht darauf aus, die Wirklich-
keit selber zu gestalten in Hinsicht auf ihre
Erscheinung, so daß sie in eine klare und un-
mittelbare Beziehung zu uns tritt. Es gilt nicht
nur für die mannigfachsten Zweckschöpfungen
eine wesenstreue Wirklichkeitsform zu schaffen,
sondern die wirkliche Welt in Raum und Zeit
so zu formen, daß wir sie rein und als Einheit
empfinden und zu einem unbeeinträchtigten,
harmonischen, vollen Seinsgefühl gelangen.

Die wunderbare Entwicklung des Intellektes
in den letzten Jahrhunderten, vor allem dem
neunzehnten, des Suchens nach der Wirklichkeit
hinter der Erscheinung der Dinge, nach den
Gesetzen der Welt, hatte mehr und mehr dahin
geführt, daß man die Dinge nur noch isoliert
betrachtete, daß man nur noch trachtete, sich
eine abstrakte Vorstellung zu bilden. Man sah
vor lauter Wirklichkeitsformen nicht mehr die
Erscheinung, das Ursprüngliche der Wahrneh-
mung, den direkten Kontakt zwischen uns und
der Welt, — man sah buchstäblich vor lauter
Bäumen den Wald nicht mehr.

So mußte es kommen, daß zur selben Zeit,
da Wissenschaft und Technik von Triumph zu
Triumph schritten, die bildende Kunst von Stufe
zu Stufe sank, blutlos, vernüchtert, verirrt und
verwirrt. Sie war wie ein großer Baum, dem
die Wurzel abgehackt wird: Sie trieb immer
noch weiter Blätter, Blüten, reifte sogar Früchte
und sank doch zugleich langsam in die Ver-
nichtung.

Doch gab es Künstler, die in schwerem Ringen
nach den alten Quellen suchten und sie auch
fanden, gab es auch damals Menschen, deren
Geist klar genug war, um die Bedeutung des
Ursprünglichen zu erfassen, zu erkennen, daß
die sinnliche Erscheinung nicht etwas Über-
nommenes sei. Von ihrer eigenen Zeit nicht
verstanden, bahnten sie einer neuen Entwick-
lung den Weg. Erst in der Malerei, dann in der
Plastik, zuletzt in der Architektur. —

Je stärker das Leben, je höher es sich ent-
faltet, um so größer und höher entfaltet sich
das Daseinsgefühl, das Lebens-Gefühl. Umso
größere Bedeutung gewinnt die Erscheinung der
Welt als Gegenstand unserer unmittelbarsten
Beziehung zur Welt. Umso machtvoller, umso

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