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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 20
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Maurer, Erich: Gartenbau und Landwirtschaft in Franz.-Lothringen: ein Feldpostbrief
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Sallmann, Paul: Von Kattowitz nach Lublin: Gartenbaulich-Landschaftliches aus einem Kriegstagebuch$nElektronische Ressource
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https://doi.org/10.11588/diglit.20974#0303

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täuschung ! Man möchte doch annehmen, dal? in
jedem größeren Dorfe wenigstens ein Garten
vorhanden sein müßte, in dem eine mittel-
mäßige Anpflanzung, ein paar gute Spaliere und
vor allem eine gute Pflege zufinden sei. Nichts von
alledem! Nur vor den Toren von Dun an der
Maas, dem Sitz des Präfekten, fand ich zwei Gär-
ten mit alten Spalieren, die aber auch seit Jahren
gänzlich vernachlässigt waren. Ich habe noch
nirgends einen anständigen Pfirsich oder eine
Aprikose als Spalier, Fächer oderBaum gesehen.
Höchstens mal eine Birne, die ja an Hauswänden
im allgemeinen ein äußerst folgsames Ge-
wächs ist. Der alte prächtige Verger bei Jamin
in Bourg-la-Reine bei Paris steht noch in reger
Erinnerung. Bisher konnte ich selbst einen be-
scheidenen Ableger noch nicht finden. Wir kamen
zu einer Zeit nach Frankreich, wo mittlere und
späte Birnen und erste Äpfel reifen. Mögen die
Besitzer oder der französische Soldat das Beste
uns sicher vorenthalten haben; was ich bisher an
Früchten sah, war den Pflanzungen naturgemäß
entsprechend.

Ohne Übertreibung kann ich versichern, daß
ich bis jetzt noch nicht zehn wüchsige und durch-
aus gesunde, gut gepflegte Obstbüsche oder
Pyramiden gesehen habe. Sämtliche Obstpflan-
zungen, und keine bleibt ausgenommen, sind
ungepflegt. Keine Baumscheiben, kein Ab-
kratzen der Borke, kein Kalken, kein Ausästen,
aber an jedem Baume, der 8— 10 Jahre zählt,
dicke Flechtenbatzen von oben bis unten, und
folglich viel dürres Holz im Geäst. So könnte ich
noch weiter singen.

Eine andere Beobachtung machte ich noch.
Im ganzen durdischrittenen Lande sah ich keine
junge, planmäßige Anpflanzung von Obst. Und
sah ich mal einen einzelnen jungen Baum, so
war er nach seinem ganzen Aussehen aus keiner
Baumschule, sondern irgend ein Ableger aus dem
Dorfe. Für das lebendige, vorwärtsdringende
Schaffen eines Volkes sprechen solche Tatsachen
nicht.

Was ich bisher sagte, läßt sich sinngemäß
auch auf die wenigen, kleinen Ziergärten an-
wenden, die ich traf. Wars ein Vorgarten, so
war es eine Bretzelschablone, hinter dem Hause
eine einfache und deshalb befriedigende Lösung.
In unserem neuzeitlichen Gartenstreben begrüßen
wir fast jede Mauer als belebendes, architek-
tonisches Moment im Garten, dem die Pflanze
den Eindruck des Kalten, Kantigen, Harten und
allzu Beherrschenden nehmen soll. Hier sind
diese Wünsche durch alte Tradition von vorn-
herein erfüllt, aber durchaus nicht annähernd
gewertet und ausgenutzt.

Die Mauer ist doch sicher im Garten das ein-
fachste architektonische Motiv. Hier, wo ich sie
täglich als solches betrachte, finde ich wieder be-
stätigt, daß nur ganz sorgsame und liebe-

volle Pflege, ein kluges Unterdrücken zu starker
Natur oder ein Fördern zu spärlichen Wuchses
den Architektur garten auf die Dauer, besonders
im Alter, schön erhalten kann.

Meine Antwort auf die Frage, warum ein so
intelligentes Volk, wie die Franzosen, mit großer
Vergangenheit, so abseits von allem „zeitge-
mäßen Fortschritt" steht, lautet kurz: Sie liegt
in den sinkenden sittlichen und politischen Ver-
hältnissen des Volkes begründet. Ein Volk, das
einen Menschenverbraucher wie Bonaparte über
sich ergehen lassen mußte und innerhalb 43 Jah-
ren republikanischer Regierung die Kabinette
wie ein Hemd wechselte, muß trotz alles natür-
lichen Reichtums langsam ermatten.

Der tiefe, sittliche Verfall prägt sich ohne
Frage auch darin aus, daß wir in Bauern- wie
in Bürgerhäusern eine Witzblattliteratur fanden,
wie sie nur sonst in Großstadt- und Lebekreisen
so pervers vorhanden ist. Das Zweikindersystem
ist ein weiterer Ausdruck dieses Tiefstandes.
Und mit diesem komme ich zu meinen geschil-
derten Betrachtungen zurück.

Der Bauer oder Bürger in Frankreich hat
entweder nur ein oder zwei, oft aber gar keine
Kinder. Er besitzt neben seinem Haus und Feld
noch andere kleine Kapitaleinkünfte, und da ihm
obendrein Boden und Klima eine leichte Ernte
in die Scheuer bringen, so herrscht bei ihm
heute eben das gefährliche „Laisser faire, laisser
aller".

Für mich als Deutschen und begeisterten Pan-
germanisten sprechen diese Bilder mit ihren
Schlußfolgerungen eine tiefernste und eindring-
liche Sprache. Mich in ihr zu verbreiten, ist nicht
der Zweck dieser Zeilen.

Das Bemühen, alle Dinge in Wirkung und
Ursache zu erfassen, hat mich weit ab von dem
getragen, was Sie, sehr geehrter Herr Garten-
direktor, von mir erwarteten. Ich würde mich
trotzdem freuen, wenn Ihnen diese Zeilen einiges
böten oder für die „Gartenkunst" geeignet wären.
Vielleicht ist es mir später möglich, Ihnen besser
zu dienen.

Nordwestlich Verdun, 10. X. 1914.
Ihr ergebener

Erich Maurer
Leutn. d. Landwehr, 5. Komp. Landw. Gren.-Reg. 100.

Von Kattowitz nach Lublin.

Gartenbaulich-Landschaftliches aus einem
Kriegstagebuch.

Von Paul Sallmann.

So gern wie ich Soldat bin, so schwer wurde
mir der Abschied von meinem neuen Wirkungs-
kreise in Kattowitz. Am 2. Mobilmachungstage
führte uns die Bahn nach Cosel O.-S.; von da

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