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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 20
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Sallmann, Paul: Von Kattowitz nach Lublin: Gartenbaulich-Landschaftliches aus einem Kriegstagebuch$nElektronische Ressource
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zogen wir in „Feldgrau" gegen den Feind im
Osten. Cosel, das schöne kleine Städtchen am
Strande der Oder, schon im 13. Jahrhundert be-
festigt, wurde 1807 von dem tapferen General
Naumann, dessen Nachkommen sich auch jetzt
bereits das eiserne Kreuz erworben haben, ver-
teidigt.

Die niedlichen Baulichkeiten in der inneren
Stadt haben ihren altschlesischen Stil bis heute
gewahrt. Auffällig ist die geringe Breite und
die große Tiefe der Häuser. Prächtig sind die
Größenverhältnisse des Marktplatzes und der
Straßen, die in den Platz münden. Auf allen
Seiten bieten sich uns reizende Bilder. Um die
Altstadt zieht sich der ehemalige Festungsgürtel,
der von der Stadtverwaltung angekauft ist und
jetzt in 30 bis 120 m breite Wiesenflächen um-
gearbeitet worden ist. Prächtige, bis 150 Jahre
alte Eichen, Eschen und Akazien umrahmen die
Freiflächen. In den letzten Jahren sind waldartige
Bestände nachgepflanzt worden; die Durchfor-
stung der alten Bestände ist zu spät und zu
schonend durchgeführt. Cosel ist also durch seinen
Grüngürtel eine der schönsten oberschlesischen
Wohnstädte geworden. In jüngster Zeit ist eine
geschmackvolle neuzeitliche Anlage vor dem Kreis-
Ständehause durch Gartenmeister Jaensch ge-
schaffen worden.

Nach dreitägigem Aufenthalt machten wir
einen kurzen Vorstoß östlich von Neudeck ins
gelobte Land Russisch-Polen (!?), kehrten
aber, ohne vom Feind etwas gesehen zu haben,
nach einigen Tagen um nach Beuthen.

Beuthen geht neben Gleiwitz in Riesenschrit-
ten mit der Schaffung ausreichender Grünflächen
in zweckmäßiger Aufteilung voran.

Unser neuer Marsch begann in Pr. Herby und
führte immer östlich. Von Herby bis Radom (über
200 km Luftlinie) zogen wir auf grundlosen We-
gen durch endlose Sandfelder mit Kartoffeln und
Lupinen. Die vorherrschenden Bäume sind
Schwarzpappeln und wilde Birnen. Größere Kie-
fern- und Birkenwälder, mit Wacholder alsUnter-
holz, wechseln mit ihnen ab. Wie oft dachte ich
an die schöne Fahrt der D. G. f. G. in die Lüne-
burger Heide. Hier fröhlich und friedlich, in der
Kriegsheide fröhlich und dreckig, geplagt von
einem namenlosen Appetit. Malerisch wirken die
Birkenwälder, durchsetzt mit einzelnen Kiefern,
neben endlosen Lupinenfeldern, gelb und blau
blühend, mit köstlichem Duft.

Czenstochau, der berühmte Wallfahrtsort, be-
sitzt eine prächtige Kirche auf dem Berge. Ein
großartiger Barockbau! Czenstochau besitzt
größere öffentliche Anlagen; die breiten Haupt-
straßen sind mit Linden und Kastanien besetzt.

Hier und später trafen wir öfter große ge-
sunde Obstgärten mit guten Sorten, von Buchen-
hecken umschlossen. Die Pflege der meist zu dicht
gepflanzten Obst-Bäume fehlt überall. Die Obst-

nutzung ist fast immer an Händler verpachtet,
denen jedes Verständnis für die Behandlung der
Bäume bei der Ernte abgeht. Fast überall liegt
unter der 30 — 50 cm tiefen Sandschicht milder
fruchtbarer Lehm. Auch auf Kalkstein, der häufig
auftritt, entwickelt sich der Obstbaum gut. Ge-
pflegte Gärten findet man an den Wohnhäusern
weder in der sogenannten Stadt noch auf dem
Dorfe.

Etwa 40 km diesseits der Weichsel beginnen
prachtvolle Mischwälder und Weiden von un-
endlicher Ausdehnung. In den Wäldern fallen
starke Eichen, Rotbuchen und Eschen auf. Weiß-
tannen, Weißbuchen und Haselnüsse bilden ein
fast undurchdringliches Unterholz. Boden- und
Sumpfflora sind reichhaltig. Hier findet der
Staudensammler eine Quelle zur Bereicherung
unserer Grünanlagen. Wiesenflächen leuchten in
der eigenartigen Farbe desWeiderichs. Der Boden
ist fruchtbar. Auf großen Landgütern im Besitz
russischer oder polnischer Aristokraten wird um-
fangreicher Zuckerrübenbau betrieben. Der kleine
Mann ist überall arm, sehr schmutzig und sehr
wenig fleißig.

Um Opatowwird das Gelände bewegter. Der
Der Höhenzug der Lysa Gora im Südwesten er-
innert mit seinen reizvollen Landschaftsbildern
geradezu an Thüringen. Immer öfter wechseln
dichte Nadelwälder mit den verhängnisvollen
Sümpfen. So bleibt die Landschaft bis Lublin
und Nisko.

Der Botaniker könnte in dieser jungfräulichen
Vegetation schwelgen. Mein Kriegskamerad Rek-
tor Graw, ein vorzüglicher Botaniker, hatte es
besonders auf die Moose abgesehen. Die schwel-
lenden Polster von Polytrichum und Hypneen in
den Wäldern, die Tortula auf den Dächern und
die Leucobryum in der Heide hatten es ihm
angetan.

Nach meiner Verwundung am 8. 9. 14 wurde
ich durch Galizien über Krakau nach Kattowitz
geschafft. Krakau, die architektonisch so her-
vorragend schöne Stadt, sah ich leider nur von
meinem Strohlager. In Kattowitz wurde durch
eine kleine Operation mein Körper von dem feind-
lichen Maschinengewehrgeschoß befreit. Nach
viertägiger vorzüglicher Pflege ging es weiter
nach Grottkau, um in der Grenzstadt anderen
Kameraden Platz zu machen.

Was ich von den Grünanlagen der Stadt Cosel
sagte, paßt auch auf Grottkau, deren Baulich-
keiten architektonisch über denen in Cosel stehen.
Hier hat sich Garteninspektor Mesch, Koppitz, der
frühere Berater desMagistrats, verdient gemacht.
Leider mangelt es an guter Pflege des alten
Baumbestandes. Einer Pappelallee droht leider
der Untergang infolge unzweckmäßiger Behand-
lung.

Die Friedhofsfrage harrt unter den etwas
eigenartigen Verhältnissen hier wie in anderen

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