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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 20
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Maurer, Erich: Gartenbau und Landwirtschaft in Franz.-Lothringen: ein Feldpostbrief
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https://doi.org/10.11588/diglit.20974#0302

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rundung des landwirtschaftlichen Besitzes, wie
sie durch die deutsche Katasterbehörde ausge-
führt ist und wird. Hier ein Fetzchen, dort ein
Fetzdien Feld. Schmal und lang wie ein Hand-
tuch. Jedes Feld ist deshalb natürlich gewölbt
wie ein Ochsenrücken, denn trotz egalite, frater-
nite und liberte spielt die Eifersucht in Frank-
reich eine lächerlich bedeutende Rolle. Keiner
gönnt dem andern eine Krume Bodens. Unge-
heuer viele nutzlose kleine Flächen liegen
zwischen den Feldern, die aus dieser Fetzen-
wirtschaft stammen und der Faulheit in der Be-
stellung des Ackers. Sie bringen nur einen
Nutzen, den die Katasterverteilung bei uns erst
jetzt wieder beachten lernt: die Ansiedlung von
Vogelhaagen. Aber sie haben oft eine bedenk-
liche Ausdehnung. Man kann ruhig sagen, daß
sich die Weitersiedlung der Gehölze in die Fel-
der hineinfrißt.

Und damit komme ich zur Feldbestellung.
Ein reicher, fruchtbarer Boden! Er könnte bei
intensiver Bewirtschaftung edle und reiche Frucht
bringen. Aber die gemeine Felddistel, der
Mohn und andere Unkräuter durchsetzen die
Felder, wie es der deutsche Landwirt niemals
dulden würde. Die Art der KartofFelbestel-
lung ist äußerst nachlässig. Rüben und ver-
wandte Gewächse stehen gut, aber sie wach-
sen in diesem Boden auch von selbst. Jeder
Mann besitzt einen Krautacker. Durchgängig
fand ich soviel taubes Zeug darunter, daß ich
zur Vermutung kam, daß die Leute den Samen
selbst sammeln. Einem Samenhändler würde
ich bei solcher Lieferung nie wieder etwas ab-
kaufen, und ich kann nicht glauben, daß die fran-
zösischen (z. B. Vilmorin) solchen Schund liefern.
Audi in den Getreiderassen scheint man nicht
auf der Höhe zu sein. Um so besser sind aber
die Maschinen für das Mähen und Dreschen.
Großen und neuesten Kalibers aus Amerika
oder England. Überall standen sie im Gelände,
bis wir dahinterkamen, daß diese Gesellschaft sie
beim Zurückgehen als Entfernungsmerkmale
in denFeldern aufstellte. Jetzt drischt der deutsche
Landwehrmann damit französisches Getreide,
natürlich für den eigenen Magen.

Wenn ich midi nun den Hausgärten zuwende,
so muß ich erst vom Dorfe, vom Hause sprechen.
Unserem deutschen Empfinden ist sein Or-
ganismus fremd. Doch dies ist Sache des Klimas,
der Sitte, kurz, gehört ins Kapitel völkischer
Biologie.

Aber die Sauberkeit, die ich schon früher
in Paris und anderswo schmerzlich vermißte, sie
fehlt hier erst recht. Der kleine und mittlere
deutsche Bauer baut seinen Misthaufen auch noch
gern auf den Hof oder an die Straße, aber hier
liegt er tatsächlich zuweilen 3 m hoch neben der
Haustür auf etwas abschüssigem Gelände, ans
Haus geschmiegt, und das Beste, die Tunke, fließt

in einem Rinnsal durchs ganze Dorf und ver-
sickert draußen irgendwo. Welche Gerüche (denn
die Küchenabfälle fließen auch seitlinks zur Tür
heraus) und was für ein Insektenzeug sich da vor
und im Hause ein wollüstiges Dasein bereitet,
muß man an sich erfahren haben. Wir regieren
jetzt 20 Tage hier, und Sie sollten mal sehen,
was aus diesem Dreck- und Specknest geworden
ist. Der Mist ist fort und noch so manches
andere. Die Abortverhältnisse spotten aller Be-
schreibung, und trotz unserer Massengegenwart
verrichten Kinder, heute sogar eine Frau, ihre
Notdurft in dem oben erwähnten Rinnsal an der
Straße. Die Grundrisse der Häuser sind jämmer-
lich, unhygienisch und unschön, die neueren und
neuesten nicht ausgenommen. Da erkennt man
erst, was unsere jetzige deutsche Architektur
leistet. Ein Raum im Hause, der den Kamin, zu-
gleich Feuer- und Kochstätte, das Riesenfamilien-
bett (noch immer mit dem Staub- und Motten-
fängerhimmel) und nötige Wohngeräte enthält,
ist leidlich sauber, aber stark verräuchert. Im
anderen Teil, besonders in Ställen und Scheunen,
herrscht eine unglaubliche Nachlässigkeit. Das
Sprichwort „Laisser faire, laisser aller" ist mit
Recht in Frankreich zu Hause. Ein alter, ehrlicher
Franzose, der als Zollbeamter lange Jahre an der
deutschen Grenze lebte und dessen blendende
Sauberkeit an sich und seinem Hause uns auffiel,
sagte zu mir: Der Franzose pinselt sein Haus nach
der Straßenseite jährlich lieber zweimal an, als
daß er daran dächte, im Innern etwas Nötigeres
zur Wiederherstellung der Sauberkeit zu unter-
nehmen. Wir finden Anbauten an Häuser, die
den Anschein des Angeklebtseins erwecken. Ganze
Teile von Baulichkeiten liegen seit Jahren zer-
fallen, und nur im letzten Notfalle wird wieder
aufgebaut. Die Weisheit des Vorbeugens hat
der Franzmann von seinen Ahnen entweder nie
gelernt oder vergessen.

Und nun zum Garten. Was soll ich über
dessen Anlage sagen? Klein wie bei uns, im
Grundriss nach praktischen Erfordernissen an-
gelegt. Buxus zur Einfassung gedeihthier natür-
lich üppig; Hecken sind viel angewandt, aber in
unglaublicher Verlodderung. Auch wenn ich die
Wochen des Krieges von der Größe und dem Um-
fang des Unkrautes allerorten abziehe, bleibt es
noch so reichlich, daß auch hier der Vorwurf der
Nachlässigkeit zu Recht besteht. Gemüse hier
wie dort, höchstens Wertung 3. Von höherer
Kultur, selbst in den Gärten der Bourgeoisie, z.B.
Rentner, Notar, Pfarrer ist bisher nichts zu ver-
spüren gewesen. Ein Oleander, Aucuba, Laurus
tinus oder Eugenia im Kübel war alles, was ich
beim Suchen fand.

Und nun komme ich zum Kapitel Obstbau.
Frankreich war hier unsere Lehrmeisterin. Förm-
lich erwartungsvoll betrat ich in dieser Beziehung
das Land. Aber gerade hier ernüchternde Ent-

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