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Die Gartenkunst — 27.1914

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Nr. 11
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Zobel, Victor: Neue Gärten in französischer Beleuchtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.20974#0187

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hängt; aber schließlich sind es doch die Formeln,
die ihnen nachträglich ihre Bedeutung im Gefüge
des Gesamtbildes einer Zeit geben.

Hier darf man wohl auf einen grundlegenden
Unterschied zwischen den Denkweisen aufmerksam
machen. Mir wenigstens scheint so — und gerade
die Gartengestaltungen scheinen es mir besonders
stark zu beweisen —, daß der heutige Deutsche sich
bemüht, möglichst voraussetzungslos zu denken und
bei aller Achtung vor dem Überkommenen zunächst
den neuen Bedürfnissen die entsprechende Form zu
suchen. Der französische Geist dagegen ist im höchsten
Grade konservativ (viel mehr als es der englische
ist), er kann aus seinem Denken seine glanzvolle
Vergangenheit, in der sich ein ausgesprodiener und
klar umrissener Stil in den künstlerischen Hervor-
bringungen an den anderen reiht, schlechterdings
nicht ausschalten, und es ist ihm unmöglich, in anderer
Form über Kunsterzeugnisse zu sprechen, als indem
er versucht, sie auf einen Stil festzulegen. Es ist
nun seltsam zu sehen, wie der Franzose, dem die
wirklichen Lebensstile seiner Vergangenheit viel
klarer und reiner vor Augen stehen, als es bei dem
Deutschen der Fall, doch im Grunde weniger ehr-
fürchtig von dem Begriff „Stil" denkt, als dieser;
denn wir Deutschen verstehen darunter die aus
gleichgearteten Lebensströmungen zwingend sich er-
gebende, allgemein verbindende Ausdrudtsform —
und sind freilich oft voller Zweifel, ob je wieder die
Bedingungen für „Stil" wiederkommen werden.

Jedenfalls ist die Gefahr da, daß über dem
Bestreben zu sichten und zu ordnen das Wesen der
Sache zu kurz kommt; und diesen Eindruck hat man
bei den Ausführungen von Maumene über den neuen
Garten häufig. Er nennt als die beiden Hauptarten
des Gartens von heute den regelmäßigen und den
landschaftlichen, der aber häufig nicht rein, sondern
als „gemischter" auftritt. Bei dem regelmäßigen
Garten unterscheidet er sechs Unterarten: 1. Gärten,
die alte, klassische Stile widergeben, 2. Gärten,
welche die Formen des zweiten Kaiserreiches nach-
ahmen, 3. Gärten, welche die Formen der alten
Parterres für die neuen Bedürfnisse ummodeln,
4. regelmäßige Schmuckgärten mit Bevorzugung des
Architektonischen, 5. wohnliche ländliche Gärten, wie
die englischen, 6. streng formale Gärten, von einer
Knappheit und Strenge der Formen, die bis zur
Nüchternheit gehen, oft gemildert durch kluge Ver-
wendung der Pflanze, wie die modernen deutschen.
Das letzte geht also uns an, und es ist sicher
richtiges und beherzigenswertes in diesen formel-
haften Worten. Es wird nur etwas sehr wesentliches
übersehen: daß nämlich über unsere herben, oft
ungeschickten und sicher auch ungekonnten Formen
hinaus eine heilsame Entwicklung möglich und bei
unserer Art ehrlicherweise überhaupt nur so denk-
bar ist; daß der englische Garten einen, vielleicht
einseitigen, Vollkommenheitsgipfel darstellt; daß
alle diese französischen Formen wohl manches Gute
in der Repräsentation leisten, für unser heutiges
Leben aber von recht geringem Werte sind.

Mit dem, was weiterhin über den „gemischten"
Garten gesagt wird, kann man sich im allgemeinen
einverstanden erklären. Des Verfassers Vorliebe
gehört ihm, und er versteht unter dem Begriff im
wesentlichen die Gestaltung der Hausumgebung in
regelmäßiger Form und daranschließend, in ge-
schiditem Übergang, die landschaftliche, großzügige
Anlage. Dies ist natürlich nur für größere Flächen
gültig und im englischen Garten und Park vollendet
gelöst. Bei uns in Deutschland sind wir über die
Gestaltungsregeln des großen Parks durchaus noch
nicht im klaren; aber ich glaube, das ist kein Fehler,
und wir werden sehr bald dazu kommen, einzusehen,
daß die Frage für jeden einzelnen Fall besonders

beantwortet werden muß, ob wir bei der Anlage
eines Parks nur die vorhandene Natur aufschließen
und herausheben sollen, ob wir im Anschluß an
Vorhandenes zwanglos oder malerisch verfahren,
ob wir in großen Zügen straff und rhythmisch zu-
sammenfassen können, und anderes mehr.

Aus der Vergleichung der drei großen „Schulen",
wie Maumene sie nennt, greife ich nur die Schilderung
der Eigentümlichkeiten der deutschen Gärten heraus,
da sie gleichzeitig Streiflichter auf die französischen
wirft, und weil die englische Schule ziemlich stief-
mütterlich und unzureichend umschrieben ist. Die
moderne deutsche Schule, sagt der Verfasser, kenn-
zeichnet sich durch regelmäßige Anordnung, durch
einen klaren Plan, der manchmal in den Rahmen
eines landschaftlichen Gartens eingefügt ist. Ab-
gesehen von kleinen Gärten scheint es, als ob die
Einheit des Ganzen nicht als oberstes Gesetz ange-
sehen würde; vielmehr scheint man eher die Schwierig-
keiten einer Ausführung durch Benutzung der natür-
lichen Bodenbewegung zu umgehen, als daß man das
Gelände für die Zwecke des Ganzenumgestaltet.

Diese Umschreibung ist ziemlich mager und recht
angreifbar; aber das ist die gewöhnliche Eigenschaft
solcher Formeln, und über diese Seite der Sache ist
schon einiges gesagt worden. Was uns dabei anzieht,
ist das Gegensätzliche französischer und deutscher
Auffassung, das zwischen den Zeilen des zweiten
Satzes zu lesen ist. Der Franzose will getreu seinen
Überlieferungen den repräsentativen Garten aus
einem Guß, der wie ein Schaubild oder die Kulissen
einer Bühne ihn und sein Haus hebt und seine
Gefühle erhöht. Uns wieder scheint diese Aufgabe
des Gartens abgetan oder wenigstens zu einseitig
und wir sind auf der Suche nach neuen Lösungen,
welche die Zeitbedürfnisse fordern. Und so wird,
meine ich, der stille Vorwurf, der aus jenem fran-
zösischen Satze spricht, für uns zu einer Anerkennung,
wenn wir nicht längst wüßten, daß gerade die Aus-
nutzung gegebener Verhältnisse bei allem Bauen und
die Einfühlung in das Gewordene eine deutsche
Stärke ist, die wir uns aus Trümmern eben erst
wieder zurüdizuerobern beginnen. Hier erscheint das
selbstherrliche Schalten zu irgend jemandes höherem
Ruhme im vollen Gegensatz zu deutschem Fühlen.

An einer anderen Stelle wird noch einmal aus-
führlicher über die Verschiedenheiten der Garten-
schöpfungen der drei hauptsächlich in Frage kommen-
den Völker gesprochen, und es mag erlaubt sein,
diese Urteile wenigstens auszugsweise mitzuteilen.
Die Gestaltungsart des französischen Gartens, sagt
Maumene, entspricht durchaus unserem Tempera-
ment. Der französische Baugärtner denkt beim
Garten immer an den Park; er will ihn großartig,
prächtig und blendend, als eine Schaustellung und
stets in klassischer Form. Seine Planungen sind
einheitlich, harmonisch und klar in der Anordnung;
er strebt nach weiten Durchbilden und Effekten.

Im Gegensatz hierzu scheint der englische Garten-
gestalter nicht den Grundsatz der einheitlichen Ge-
samtgestaltung zu haben; er paßt zuerst seinen
Garten dem Hause und dem Leben der Familie an.
Deshalb ist der englische Garten freundlich und
wohnlich, lieblich mit Haltung, nur selten prächtig
und manchmal eintönig. Der Gartenplan ist ganz
wie der Hausplan entworfen, nach Bedürfnis und
Belieben verschiedene Freiräume nebeneinander zei-
gend, ohne Rüdesicht darauf, ob das Gleichgewicht
des Ganzen gestört wird. Für den großen Gesamt-
eindruds. wird wenig getan, weniger noch in der
Absicht, zu gefallen und zu blenden. Dazu kommt,
daß die Engländer viel inniger als wir die Pflanzen
und Blumen lieben, und um ihnen die Wachstums-
bedingungen zu geben, lieber die dekorativen Wir-
kungen des Gartens opfern.

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