Else Lasker-Schüler
Gebet
(Meinem teuren Halbbruder, dem blauen Reiter)
Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.
Und wandle immer in die Nacht...
Ich habe Liebe in die Welt gebracht, -
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gewacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest;
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.
Wassilij Rosanow
Die letzten Zeiten
Da ist die Apokalypse ... Ein geheimnisvolles Buch, an dem
man sich die Zunge verbrennt, wenn man es liest, und das Herz
aussetzt ... der ganze menschliche Organismus abstirbt, ab-
stirbt und wieder aufersteht... In den ersten Zeilen schon hebt
sie an mit einem Gericht über die christlichen Kirchen in
Kleinasien, in Laodizea, in Smyrna, in Thyatira, in Pergamus
und anderen Orten, die heute in Trümmern liegen, in Wirk-
lichkeit aber für jene „letzten Zeiten", die der Schreiber dieses
seltsamen Buches vor Augen hatte, von großer Bedeutung sind.
Er hatte aber den von Christus gepflanzten Baum genau be-
trachtet und mit für sich selbst und für seine Zeit unerklärli-
112
Gebet
(Meinem teuren Halbbruder, dem blauen Reiter)
Ich suche allerlanden eine Stadt,
Die einen Engel vor der Pforte hat.
Ich trage seinen großen Flügel
Gebrochen schwer am Schulterblatt
Und in der Stirne seinen Stern als Siegel.
Und wandle immer in die Nacht...
Ich habe Liebe in die Welt gebracht, -
Daß blau zu blühen jedes Herz vermag,
Und hab ein Leben müde mich gewacht,
In Gott gehüllt den dunklen Atemschlag.
O Gott, schließ um mich deinen Mantel fest;
Ich weiß, ich bin im Kugelglas der Rest,
Und wenn der letzte Mensch die Welt vergießt,
Du mich nicht wieder aus der Allmacht läßt
Und sich ein neuer Erdball um mich schließt.
Wassilij Rosanow
Die letzten Zeiten
Da ist die Apokalypse ... Ein geheimnisvolles Buch, an dem
man sich die Zunge verbrennt, wenn man es liest, und das Herz
aussetzt ... der ganze menschliche Organismus abstirbt, ab-
stirbt und wieder aufersteht... In den ersten Zeilen schon hebt
sie an mit einem Gericht über die christlichen Kirchen in
Kleinasien, in Laodizea, in Smyrna, in Thyatira, in Pergamus
und anderen Orten, die heute in Trümmern liegen, in Wirk-
lichkeit aber für jene „letzten Zeiten", die der Schreiber dieses
seltsamen Buches vor Augen hatte, von großer Bedeutung sind.
Er hatte aber den von Christus gepflanzten Baum genau be-
trachtet und mit für sich selbst und für seine Zeit unerklärli-
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