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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0197

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Das historische Werden ist ein endloser Zug von Sackgassen,
eine Folge von festgefahrenen Situationen, ein steriles Dahin-
fließen. Darum haben die Menschen immer gedacht, daß alles
schlecht geht.

Die Geschichte wie das Leben laufen ab, sie schreiten nicht
voran. Wer könnte denn vernünftigerweise sagen: „Alter und
Tod, auf die wir uns hinbewegen, bedeuten einen Fortschritt" ?
Wir gehen darauf zu, und das ist alles. So verhält es sich mit der
Weltgeschichte und sogar mit Hegels absolutem Geist

Lange Zeit hindurch hat man paradoxerweise die von Illu-
sionen besessenen Geister „aufgeklärt" genannt, jene, die, von
Enthusiasmus geblendet, an den Menschen glaubten, an seine
Fähigkeit, das Böse in ihm und um ihn zu bezwingen. Die mo-
derne Zivilisation - wir berühren hier die Wurzel ihres Erfol-
ges und ihres Fiaskos - haben die Verleumder der Erbsünde
begründet, die Schüler Rousseaus, all diejenigen, welche sich
geweigert haben, die Tatsache zu akzeptieren, daß der Mensch
in seinem Wesen verdorben und seit jeher verdammt ist, wie
auch immer die äußeren - sozialen oder anderen - Verhältnisse
sein mögen, in denen er lebt.

Der Verfasser der Genesis, mehr sogar als derjenige der Apo-
kalypse, hat viel tiefer das unheilbare Elend unseres Geschickes
erfaßt als die modernen Apostel der Wissenschaft. Für ihn hieß
Wissen einer höchst gefährlichen Versuchung nachgeben, er
hat uns gezeigt, daß man sich nicht ungestraft für das zudring-
liche Erforschen begeistern kann, daß der Baum der Erkennt-
nis das Gegenteil von dem des Lebens bildet.

Die Neugierde unseres ersten Ahnen ist für uns verhängnis-
voll gewesen. Der Mensch hat mit einer Übertretung begon-
nen, mit einer sehr gefährlichen Wahl, denn kein Geringerer als
Gott hatte ihn eindeutig vor dem Risiko gewarnt, dem er sich
aussetzte.

Erkennen heißt bis ins Innerste eindringen, schauen, heißt
dem Geheimnis der Dinge Gewalt antun. Die Geschichte ist
eine Folge dieser unheilvollen Neugierde, dieser Ur-Indiskre-
tion. Jeder einzelne von uns wiederholt durch das, was er sucht
und ausführt, diesen gierigen Übergriff, diesen Akt der Zerset-
zung, des Abbruches, der leidenschaftlichen Subversion, der
aus einem Schimpansen einen Abenteurer machte, jenen Akt,

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