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Harth, Dietrich [Hrsg.]
Finale!: das kleine Buch vom Weltuntergang — München, 1999

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https://doi.org/10.11588/diglit.2939#0199

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Ein brutales Ende - darauf wartet die Welt, und davor
fürchtet sie sich gleichzeitig. Aber man kann auch, wenn man
möchte, sich nach Jahrtausenden einen Abgang aus Erschöp-
fung vorstellen.

In einem abgelegenen Flecken Argentiniens überlebten vor
dem letzten Weltkrieg bloß vierzig Angehörige eines Eingebo-
renenstammes. Ohne die mindeste Lust zu arbeiten, verfielen
sie in eine vollständige Apathie. Allen, die sie aufzurichten ver-
suchten, antworteten sie: „Wir sind die letzten, wir sind die
letzten!"

Diese Leier war die Rechtfertigung ihrer äußersten Trägheit,
ihrer Unfähigkeit, sich an etwas anderes zu klammern als an
das eigene Nichts.

Die Vision des letzten Menschen, dieses moralischen und
physischen Abfallproduktes, dieses degradierten Phantoms, ist
eine alte Obsession. Wie ist es möglich, daß ein Tier, das sich
als Herr der Schöpfung aufspielte, nur noch als Karikatur sei-
ner selbst weiterbesteht?

Da jedes Lebewesen durch die eigenen Mankos angestachelt
wird, strebt es notwendigerweise nach Siegen. Selbst der Virus
ist ein Eroberer, und was für einer! Der Mensch, der aber ein
viel schlimmerer ist, flößt eine durch Abscheu unterminierte
Bewunderung ein. Früher flößte er in der Tat dieses Gefühl
ein, denn jetzt ist er in eine Phase eingetreten, in welcher er,
sollte er langsam versacken, zum Objekt mitleidiger Verach-
tung, sollte er aber auf der Stelle verschwinden, zum Objekt
blitzartiger Bestürzung wird.

Wie die Dinge nun einmal liegen, können wir nur davon-
kommen, uns selber retten, wenn wir versuchen, den Gang
der Geschichte zu stoppen, aufzuhalten, wenn wir zugeben,
daß wir einen falschen Weg eingeschlagen haben, wenn, um
es kurz zu fassen, wir alle darin einwilligen, abzudanken.
Diese allgemeine Kapitulation, die gleichzeitig ein beispiello-
ser Akt der Weisheit wäre, setzt ein unerhörtes Sich-Zusam-
mennehmen voraus, einen inneren Sieg über unsere Vergan-
genheit, über all die Jahrhunderte, die uns vorausgegangen
sind.

Ist das aber nicht ein gewaltiges Hirngespinst, eine maßlose
Utopie?

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