Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Dr. Hahn, de Religionis natura et ratione. 211
danken empfängliches Vermögen ist und dafs es jene Vorstellung
von einem Deus sibi homines religans ursprünglich nicht, sondern
erst alsdann hat, wenn es, sehr anthropopathisch, mit einem sol-
chen Begriff von Gott, wie wenn Er (der Heilige und also Frei-
willigkeit des Guten wollend!) die Gemüther, durch einen
Machtei n fl ufs auf ihr Bewufstseyn, an sich bände, irgend-
woher angefüllt worden ist. Ursprünglich in das Bewufstseyn von
Gott gegeben und gleichsam eingepflanzt kann jene Vorstellung
de Deo sibi hominem religante nicht seyn, weil sie sonst in
allen Menschen seyn müfste.
Wo dann aber die teligio nur eine religatio ist, in welcher
man sich für einen von Gott selbst zu Verbindlichkeiten gebun-
denen Geist halten müfste, da mufste dem Religiösen die Religio-
sität als eine Gemüthsrichtung erscheinen, die ihm nur, weil ein
Gott ist, von Gott selbst aufgenöthigt wäre. Ein solcher wird
also in der Meinung leben, wie wenn er nur durch den Glauben,
dafs Gott sey, Verpflichtungen habe.
Daraus entstehen leicht zwei sehr bedenkliche Folgen.
Die erste ist, der Wahn, wie wenn der Mensch, wenn er
gleich an sich denkend und wollend zu seyn die oberste geistige
Kraft hat und diese Kraft sein innigstes Selbst ist, doch ohne die
Voraussetzung eines Glaubens an Gott (an welcher deswegen der
praktische Atheist alsdann gerne soviel möglich rüttelt) keine
innere, unsichtbare Verbindlichkeiten haben, keine vincula pietatis
in sich tragen würde.
Die andere (im allgemeinsten Sinn pfäffisch oder hiero-
despotisch zu nennende) Folge der Beredung : dafs die Religion
im menschlichen Gemüth entstehe, weil die Menschen von Gott
selbst an Ihn gebunden würden, ist gar zu leicht diese, dafs,
da man Gott nicht selbst fragen und hören kann, die meisten
Religiösen von dieser Denkweise in allen Religionsarten sich
entweder durch ein vermeintlich inneres Licht als durch ein eigen-
tümlich individuelles Religionsbewufstseyn, oder aber von An-
dern, die ein vollständigeres Gottesbewufstseyn, als von Gott un-
mittelbar gegeben, in sich zu * fühlen behaupten, alles ersinn-
liche von Dogmen und Leistungen, welche Gott wolle, einreden
lassen, da sie auf den allein ächten, Gottes und des zum den-
kenden Wollen bestimmten Menschen würdigen Ursprung aller
wahren Religion aus gewissenhaftem Nachdenken über göttliche
Dinge, und also auf ein eigenes diligenter religere der gotteswür-
digen Gottesverehrung denkend und wollend nicht zurückzugehen,
 
Annotationen