Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5Gö Sichert: Genesis und Therapeutik der Cholera,
derer Liebhaberei für gewisse Organe, zum Grunde liege; ja die
dem Frieselsehleimfieber und der Cholera gemeinsam zukommen-
den Charaktere sind so deutlich und so aufeinander gedrängt,
dafs die Ansicht nimmer in Zweifel gezogen werden kann: die
Cholera sey die Akme jener pituitösen Krankheiten,
denen das Frieseirheuma zum Grunde liegt, und die im
Verlaufe häufig Frieseitendenz und wirklichen Friesei als kritische
Entfaltung zeigen. Es ist das Rheuma, welches in der Phy-
siognomie der Cholera als ächter Familienzug zu erkennen ist.
Wenn ein von dem mächtigen Cboleragifte Ergriffener, mit
lividem Gesichte, mit breiten bräunlich-bleifarbenen Ringen um
die tiefliegenden nach oben gerichteten Augen, mit Trostlosigkeit
in dem von Todesschrecken verzerrten Gesichte, mit einer wel-
lten, bläulichen, kalten Zunge, mit einem Athem, der uns an-
weht wie der eiskalte Zugwind aus einer Gruft, mit tiefseufzen-
der Respiration und krächzender Grabesstimme, mit den kalten,
pulslosen, krallenförmig eingezogenen Extremitäten, mit vernich-
tetem egoistischem Princip daliegt, nichts wünschend, nichts hof-
fend;— dann sehen wir freilich keine dem pituitösen Fieber oder
dem Friesei verwandte Krankheitscharaktere, sondern — einen
verlornen Menschen. Wenn wir aber die Krankheit in ihren Ab-
fällen, in ihren Nachkrankheiten an solchen Individuen, die nur
gestreift sind, mit einem Worte, von unten hinauf betrachten,
so schweigen die vielen chimärischen Erklärungen ihres Wesens,
und sie wird fasslicher.
Es ist die asiatische Cholera eine epidemisch- miasmatische
Krankheit. Die zunächst vor unsern Augen liegenden Vorgänge
streiten gegen die Annahme, dafs die Luft der Träger des Mias-
ma’s sey; es ist nämlich mit allen ihren. Verbreitungsarten voll-
kommen vereinbar, dafs das Krankheitsmiasma, welches tellu-
rischen Ursprungs ist, an die Erdrinde gebunden sey und
auch auf diesem Wege sich weiter verbreite.
Diese Krankheit ist als eine Kern- oder Mutterkrankheit zu
betrachten, welche sich die Herrschaft über den stationären Krank-
heitsgenius angeeignet hat; daher sie den übrigen untergeordne-
ten Krankheiten ihre Charaktere aufprägt.
Sobald die Cholera eine Gegend befällt, ist ihr Hereinbre-
ehen durchaus epidemisch-miasmatisch; allein es wird das
Miasma ira Individuum nicht zerstört; und somit kann hei starker
Receptivität anderer Iudividuen das Miasma durch das Erstere
 
Annotationen