N°. 16.
HEIDELBERGER
1838,
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Schriften christlicher Philosophen über die Seele, heraus-
gegeben von Boissonade, Krabinger und Sinner.
Die grofse Bedeutung der Seelenlehre für verschiedene Wis-
senschaften bezeichnet ein christlicher Ausleger des Aristoteles
auf folgende Weise*): »Die Lehre von der Seele „ sagt Aristo-
teles , erstrecht sich auf alle Wahrheit. Damit ist gesagt, auf
alle Philosophie. Jene erstreckt sich nämlich auf die Ethik, auf
die Theologie und auf die Physik. Sie bezieht sich auf die Ethik,
weil es unmöglich ist unsere Sitten zu ordnen, ohne dafs wir
zuvor die Kräfte der Seele untersucht hätten. **) Denn wenn
die Tugend die Zierde der Seele , diese Zierde aber Woblord»
nung der Seelenkräfte ist, der Ethiker diese jedoch nicht ordnen
kann, ohne ihre Natur untersucht-zu haben, so mufs er folglich
von der Seele handeln. Jene Lehre gehört aber auch -zur Theo-
logie. Hier fragen wir nämlich nach dem uns inwohnenden trenn-
baren Geist, ob er auch unsterblich ist. Da aber der Geist Geist
der intelligiblen Dinge ist, so gehört er den relativen Objecten
an; wer vom Relativen aber das eine Eins von zweien weifs, der
wird auch das Übrige wissen.***) Es ist also offenbar, dafs die
Betrachtung über den Geist auch für die Theologie Grofses lei-
stet. Daher hat er (Aristoteles) auch an einem andern Orte ge-
sagt, dafs der Physiker nicht über die gesammte Seele zu spre-
chen habe. Denn wenn über die gesammte, so hätte er auch
*) Johannes Philoponus in Anstotel, de anima p. 11 ed. Venet. a 1535.
*') Was bisher unbemerkt geblieben , ein ganzer Abschnitt unserer,
dem Ilten Jahrhundert angehörigen Pergamenthandschrift cod. Pa-
latin. Heidelberg nr. 281) fol. rect. 115 —153, Ao%at tcsg'i yijg
überschrieben , ist nichts anders als ein Auszug aus einem Theil
dieses Commentars des Jo. Philoponus, und kann zur Verbesserung
des Textes gute Dienste leisten. Hier hat er folgende Lesart: rag
Swaps/; r*jg ertaKs-J/apsvov;. — Übrigens werden auch Ao-
irsft (in Origenis Philocalia ed. Paris. 1619. p. 626 sqq.)
von Matthei zum Nemeeius p. 406 angeführt.
***) Nach dem vollständigem Text der Handschrift: i-reiSy 31 6 vovg
vojjtcüv strrl vov;tcüv rrgög ti irrt’ rwv de rcgog ri 6 rö engov ev sidwg
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HEIDELBERGER
1838,
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Schriften christlicher Philosophen über die Seele, heraus-
gegeben von Boissonade, Krabinger und Sinner.
Die grofse Bedeutung der Seelenlehre für verschiedene Wis-
senschaften bezeichnet ein christlicher Ausleger des Aristoteles
auf folgende Weise*): »Die Lehre von der Seele „ sagt Aristo-
teles , erstrecht sich auf alle Wahrheit. Damit ist gesagt, auf
alle Philosophie. Jene erstreckt sich nämlich auf die Ethik, auf
die Theologie und auf die Physik. Sie bezieht sich auf die Ethik,
weil es unmöglich ist unsere Sitten zu ordnen, ohne dafs wir
zuvor die Kräfte der Seele untersucht hätten. **) Denn wenn
die Tugend die Zierde der Seele , diese Zierde aber Woblord»
nung der Seelenkräfte ist, der Ethiker diese jedoch nicht ordnen
kann, ohne ihre Natur untersucht-zu haben, so mufs er folglich
von der Seele handeln. Jene Lehre gehört aber auch -zur Theo-
logie. Hier fragen wir nämlich nach dem uns inwohnenden trenn-
baren Geist, ob er auch unsterblich ist. Da aber der Geist Geist
der intelligiblen Dinge ist, so gehört er den relativen Objecten
an; wer vom Relativen aber das eine Eins von zweien weifs, der
wird auch das Übrige wissen.***) Es ist also offenbar, dafs die
Betrachtung über den Geist auch für die Theologie Grofses lei-
stet. Daher hat er (Aristoteles) auch an einem andern Orte ge-
sagt, dafs der Physiker nicht über die gesammte Seele zu spre-
chen habe. Denn wenn über die gesammte, so hätte er auch
*) Johannes Philoponus in Anstotel, de anima p. 11 ed. Venet. a 1535.
*') Was bisher unbemerkt geblieben , ein ganzer Abschnitt unserer,
dem Ilten Jahrhundert angehörigen Pergamenthandschrift cod. Pa-
latin. Heidelberg nr. 281) fol. rect. 115 —153, Ao%at tcsg'i yijg
überschrieben , ist nichts anders als ein Auszug aus einem Theil
dieses Commentars des Jo. Philoponus, und kann zur Verbesserung
des Textes gute Dienste leisten. Hier hat er folgende Lesart: rag
Swaps/; r*jg ertaKs-J/apsvov;. — Übrigens werden auch Ao-
irsft (in Origenis Philocalia ed. Paris. 1619. p. 626 sqq.)
von Matthei zum Nemeeius p. 406 angeführt.
***) Nach dem vollständigem Text der Handschrift: i-reiSy 31 6 vovg
vojjtcüv strrl vov;tcüv rrgög ti irrt’ rwv de rcgog ri 6 rö engov ev sidwg
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