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Belletristik

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dem wir auch schon anderweitige Mittheilungen über die allzukurze
Laufbahn dieses edeln Dichters verdanken, ,,Religion ist der goldne
Faden, sagt dieser Freund, der, wie Wetzeis Leben auch seine
Dichtungen durchzieht, Religion jedoch nicht blos im engen Be-
griffe des einen oder anderen positiven Kirchendogma’s gefafst,
sondern in der allumfassendsten Bedeutung genommen, als jenes
innerliche Leben und Weben in und mit Gott, jenes unablässige
freie Ergründen und Erfasseu seiner Offenbarungen, wie sie in den
ewigen Gestalten der Natur und des Geisterreichs sich kund geben..
Eine Folge dieses Charakters ist der Seelenadel der Gesinnung, der
alle Schöpfungen des Dichters durchdringt, das sinnige Gemüth,
das uns überall entgegentritt, und selbst Ergebnisse des gemeinen
Lebens zu vergeistigen versteht/4 Aufserdem rühmt Herr Fink
noch den kecken, kerngesunden, unverwüstlichen Humor des Dich-
ters, und den volkstümlichen Charakter seiner Gedichte; und so
weit stimmen wir in den etwas ermäfsigten Ausdruck seiner Cha-
rakteristik Wetzeis überein. Wenn er nun aber, von der Freund-
schaft zu dem Seligen in seinem Lob über alle Schranken geführt,
weiter behauptet, „dafs die Romantik in Wetzeis Gedichten in ihrer
universellen Bedeutung den Culminationspunkt erstiegen, dafs seine
Dichtungen in reinster Objectivität und klarster Einfalt der Darstel-
lung und doch voll plastischer Kräftigkeit gehalten und die schönste
Apotheose der Romanzen- und Balladenpoesie seyen, ja, dafs man
wohl sagen dürfe, dafs Wetzel der glückliche Dichter gewesen, der
Novalis blaue Wunderblume aufgefunden, dafs keiner im Felde
achter Volkspoesie mehr geleistet habe, als er, der Dritte im Bunde
mit Rückert und Uhland;“ — was diese Uebertreibungen der
Freundschaft betrifft, so wird kein einziger unbefangener Kriti-
ker Deutschlands sie für etwas Anderes erkennen, und man kann
ohne Lieblosigkeit, vielmehr bei aller Liebe für ein so edles Dich-
tergemüth und einen so ehrenwerthen Charakter wie der selige
Wetzel war, „die Wärme, mit welcher ein innig verbundener Freund
des nicht beachteten Dichters es wagt, seinen Gefühlen hier Raum
zu geben,44 wirklich nur „verzeihlich“ finden.
Gewifs war Wetzel in seiner Seele Tiefen fin Dichter, aber
was von dieser, verborgenen Poesie zu Tage kommt, ist weit ent-
fernt von allen Schlacken der Prosa so rein zu erscheinen, wie
die Werke der beiden grofsen Dichter, mit welchen jenes Urtheil
Wetzein zusammenstellt, und bei vielen der hier gesammelten Lie-
der, zumal der gesprächigen und breiten Legenden, Romanzen und
Balladen mufs der Name Schöpfung, der ihnen so freigebig er-
theilt wird, dem wohlwollendsten Recensenten ein Kopfschütteln
abnöthigen. Auch läfst sich der Vorwurf, dafs der Dichter nicht
nur während seiner Lebenszeit, sondern auch nach seinem Tode
unbeachtet geblieben sey, unmöglich vereinigen mit der Behaup-
tung·, dafs Wetzeis Gedichte äch te Volksgedichte seyen; denn
solche bleiben nie unbeachtet. Weil Uhlands Gedichte wahrhaft
populär sind, haben sie, ohne Zuthun der Kritik, zwölf (erweis-
lich neue) Auflagen erlebt.
 
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