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Briefe, Depeclien, Correspondenz

schine auf einige Tage oder Wochen im Gange erhält, und die
nothwendigsten Massregein unterbleiben müssen, wenn Freund und
Feind den neuen provisorischen Staat und sein provisorisches Haupt
mit Willkühr und Hochmuth behandelt, wenn aus Mange] an über-
wältigender Gewalt den Befehlen kein Gehorsam verschaft werden
kann: dann mag sich doch die Frage aufdrängen, was selbst ein
Mann wie Wellington, unter solchen Verhältnissen durchzu-
führen im Stande gewesen wäre? Jeden Falles ist gewiss, dass
die Einsicht in einen solchen Kampf mit der äusseren Lage in
rein menschlicher und insbesondere in staatsmännischer Beziehung
anziehend und belehrend ist. Es ist daher die bisher besprochene
Sammlung nicht nur wegen ihres speciellen geschichtlichen Inhal-
tes, sondern fast mehr noch aus allgemeinen Gründen sehr der
Beachtung zu empfehlen.
Wenden wir uns aber zu dem Thema, dessen Behandlung wir
oben als den Gegenstand unserer Erörterungen bezeichnet haben,
nämlich zu der Hervorhebung einiger politischen Grundsätze, wel-
che durch die bisher besprochenen Schriften berühmter Staatsmän-
ner eine practische Erläuterung gefunden zu haben scheinen, so
dürfte vor Allem die genauere Kenntniss von wichtigen Menschen
und Begebenheiten, wie sie durch diese Briefsammlungen verschafft
wird, zu der Ueberzeugung führen, dass Charakter am Staats-
manne von dem höchsten Werthe ist; häufig selbst von höherem,
als ungewöhnliches Talent. Man bemerke uns nicht, dies sey eine
sehr einfache Wahrheit, welche jeder im täglichen Leben erkenne.
Diese Wahrheit wird, wenn wir uns nicht sehr irren, immer nur
von einem Theile der Menschen als solche angenommen. Die Ju-
gend nämlich legt auf Talent das grösste Gewicht, und erst mit
dem Alter wächst die Werthschätzung der zuverlässigen Gesin-
nung. Beides ist auch wohl begreiflich. Talent verspricht Ein-
sicht und Handlung; nach diesem aber steht der Sinn der Jugend.
Erst Beobachtung und Erfahrung des Lebens bringt zu der Ueber-
zeugung, dass in der Welt mehr am Mangel an Willen als an
Verstand scheitert. So ist es denn auch mit der Schätzung der
Staatsmänner. Nur die ältere Hälfte ihrer Zeitgenossen oder Be-
urtheiler wird den Hauptaccent auf ihren Charakter legen. Und
doch ist sicherlich in Beziehung auf die Angelegenheiten der
Staaten wahr, was im engen Kreise des Privatlebens richtig ist*
Freilich gehört zu der Leitung jener höhere Geistesgabe; allein
deshalb ändert sich das Verhältniss zum Charakter nicht Sind
doch auch die Versuchungen zur Schwäche, Veränderlichkeit, be~
 
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