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Chalybäus: Entwicklung der specuiat. Philosophie.

Wissenschaft zusammen, dass wir es dem Geschichtschreiber ge-
statten dürfen, schon vor denselben seinen Ruhepunkt zu nehmen
und vorläufig eine Epoche mit Hegel zu machen, obschon die an-
gedeutete Bewegung und Ausdehnung unserer Philosophie zum
grossen Theile noch gleichzeitig mit der Ausbildung jener anderen
Schulen verlaufen ist.
Wir können die Entwicklung der Philosophie eines Zeitraums
sowohl für sich, in ihren wissenschaftlichen Umkreis abgeschlossen,
als auch zugleich in ihren Bezügen zu den andern Theilen der
Geistesbildung, zu Wissen und Glauben, zu Lehre und Erziehung,
zu Staat, Sitte, Kunst und Geschmack, verfolgen, denn es findet
eine weithin eingreifende Wechselwirkung der speculativen Ideen mit
allen Gliedern des Culturorganismus der Menschheit statt. Der Ge-
schichtschreiber würde im letzteren Falle die philosophische Wissen-
schaft in ihren lebendigen Anknüpfungen, in ihren geschichtlichen
Bedingungen und Wirkungen, in ihren weitverbreiteten Wurzeln und
Verschlingungen sich gestalten lassen, und es würde dabei eine
charakteristische Zeichnung der hervorragendsten Philosophen, als
der Urheber und Leiter der wissenschaftlichen Bewegung, erfordert
werden. Die geschichtliche Darstellung würde dadurch uniäugbar
ein lebensvolleres Interesse erlangen, und zwar keineswegs einen
fremdartigen, äusseren Reiz, sondern ein Interesse, das aus der Ein-
sicht in die allseitige geschichtliche Bedeutung und Beziehung der
Philosophie erwüchse. Die Verbindung des speculativen und des
culturgeschichtlichen Standpunktes in der Geschichte der Philosophie
sehen wir als das rechte Ziel an, wohin zu streben ist, da bisher
nur Versuche der Art über einzelne Zeiten und Denker gemacht
worden sind. Die allgemeine Geschichte der Philosophie ist in die¬
sem Betracht hinter der Behandlung der politischen Geschichte im
Rückstand geblieben, die längst angefangen hat, ihren besonderen
Gegenstand im Zusammenhang der übrigen Culturgebiete zu be-
trachten. Die Philosophen haben am liebsten auf die esoterischen
Kreise der philosophischen Thätigkeit geachtet, da die philosophischen
Ideen ihre breiteste Wirkung unter den Menschen meistens erst dann
ausgeübt haben, wenn sie, ihrer wissenschaftlichen Bande entkleidet,
in allgemeinfassliche Lösungen sich ergossen hatten, obwohl sie auch
in dieser Verwandlung von ihrem Ursprünge immerfort zeugten.
Insbesondere wiiide es, glauben wir, zur Verständigung über den
Werth der Philosophie, als geschichtliche Apologie derselben, in un-
sern Tagen viel beitragen, wenn die Geschichtschreiber der Philo-
sophie die Lehrentwicklung mit dem Hinblick auf das geistige und
sittliche Leben des Zeitalters verbinden wollten.
(Schluss folgt.)
 
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