Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 56. HEIDELBERGER 1861.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Das Verhältniss der Philosophie zur Geschichte der Philosophie.
Eine Vorlesung, gehalten zum Antritt einer ordentlichen Pro-
fessur in der akademischen Aula zu Leipzig am 17. April
1861 von Conrad Hermann, Dr. phil. Leipzig} Druck
und Verlag von Breitkopf und Härtel, 1861. 30 S. 8.
Der Verf. der vorstehenden Schrift, von welchem seither Prolego-
mena der Philosophie, zwölf Vorlesungen über Philosophie der Geschichte,
der Grundriss einer allgemeinen Aesthetik und eine philosophische Gram-
matik im Drucke erschienen sind, setzt sich in derselben die Bestimmung
des Verhältnisses der Philosophie zur Geschichte der
Philosophie zum Gegenstände der Untersuchung. Derselbe ver-
langt zuerst von dem Philosophen das Bekenntniss eines bestimmten
Systemes, da eine „unsystematische oder ausserhalb der strengen
Geschlossenheit der systematischen Form stehende Philosophie auf-
hört eine Wissenschaft zu sein“.
Die erste Frage ist die nach dem Systeme, welches jedem als
der Ausdruck der philosophischen Wahrheit gilt. Der Herr Verf.
hat gewiss Recht, wenn er unter System die wissenschaftliche Form
der Philosophie versteht; jedoch- kann ihm Ref. nicht beistimmen,
wenn er sich unter System eines der herrschenden metaphysischen
Glaubensbekenntnisse der Zeit denkt. Allerdings kommen solche
mit der Zeit, aber sie vergehen auch mit ihr, und wenn auch die
Philosophieen nicht bleiben, so dauert doch die Philosophie. Ein
lebensfrischer Baum geht nicht zu Grunde, wenn auch seine Blätter
eine Zeit lang grünen und dann abfallen. Er trägt nach einiger
Zeit neue Blätter, Blütlien und Früchte. Zudem fasst jeder selbst-
denkende Kopf, da die Philosophie nicht vom Princip des Au-
toritätsglaubens, sondern allein vom Princip der Vernunfterforschung
ausgeht, jedes ihm dargebotene System in seiner eigenen Weise;
er muss es durcharbeiten; es muss ihm Ueberzeugung werden,
er wird auf Lücken, Blössen, Mängel stossen, er wird diese durch
neue Anschauungen ergänzen oder ändern. Es gibt kein fertiges
System der Philosophie, in das man, wie in eine einmal für
alle Zeit vollendete Schablone, alle philosophischen Köpfe sammt
und sonders hineinstecken darf. Es ist daher wohl zwischen der
wissenschaftlichen Form und dem sogenannten philosophischen Glau-
bensbekenntnisse zu unterscheiden nöthig. Die erstere ist dem Manne
der Wissenschaft nothwendig, das letztere verhält sich aber oft ge-
rade aus Gründen wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit und kritischer
Genauigkeit gegenüber den Meinungen des Tages mehr negativ, als
positiv, und, wie Schiller aus Religion sich zu keiner Religion
LIV. Jahrg. 12. Heft. 56
 
Annotationen