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Nr. 43. HEIDELBERGER 1861.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Rückert: Deutsche Geschichte.

(Schluss.)
Auch in Wissenschaft, Kunst und Literatur huldigt
der Herr Verf. überall dem Fortschritte des Geistes. In religiö-
ser Hinsicht spricht er sich eben so gegen die Verirrungen der
starren Orthodoxie, des Mysticismus, Pietismus, der hierarchischen
Gelüste, als des Unglaubens aus, und weiss den Werth und die Be-
deutung des Protestantismus für die religiöse, politische, künst-
lerische und wissenschaftliche Entwickelung unseres deutschen Volkes
in vollem Maasse zu würdigen. Ueberall zeigt sich durch die Dar-
stellung aller Ereignisse, dass unser Volk um so höher steht, je
mehr ihm das Bewusstsein seiner ganzen Volkstümlichkeit aufge-
gangen ist, je inniger, kräftiger und ernster es nach Einheit, Ganz-
heit und vernünftiger gesetzlicher Freiheit strebt. Nur erscheint
uns der Rationalismus und seine Stellung zur Wissenschaft nicht
überall hinreichend gewürdigt. So lesen wir z. B. S. 674: „Seit dem
letzten Dritttheil des 18. Jahrhunderts bis an diese Zeit heran (Wiener
Congress) herrschte der Rationalismus trotz der Romantik und ein-
zelner altgläubiger Kreise ganz unumschränkt in Lehre und Glau-
ben , auf allen Kanzeln und allen akademischen Kathedern. Jetzt
aber wurde er mit Ungestüm angegriffen und ihm ein Krieg auf
Leben und Tod angekündigt. Von Seite der Wissenschaft fand man
sich immer weniger durch seine Oberflächlichkeit und Gedankenar-
muth befriedigt. Die ernste Arbeit auf philosophischem Gebiete
hatte auch für die Theologie die Aufgaben vertieft und das Ziel er-
weitert.“ .... „Einstweilen standen alle diese Elemente noch zusam-
men gegen den gemeinschaftlichen Feind, den Rationalismus und die
Irreligiosität.“
Es sollte neben „den Forderungen des Denkens“ auch denen
„des Gemiiths“ Rechnung getragen werden und „dem Bedürfnisse
nach einem festen Halt im Glauben“. Gewiss hat die Vernunft in
der Religion ihre ewigen unantastbaren Rechte. Jedes Volk, wenn
es auf einer gewissen Stufe der religiösen Entwicklung steht, hat
seinen Glauben, seine Offenbarung, seine Religionsurkunden, Wunder
und Weissagungen. Wer soll nun entscheiden und die Gründe auf-
stellen, wo die rechte Offenbarung ist, welche Wunder, Weissagun-
gen, Urkunden und Glaubenslehren die rechten, welche die falschen
seien? Wer anders kann dies, als das menschliche Unterscheidungs-
vermögen des Wahren und Falschen, Richtigen und Unrichtigen, die
LIV. Jabrg. 9, Heft. 43
 
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