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Nr. 50. HEIDELBERGER 1861.
JTABÄBÜCÄ1R DER BITERAWR.

Von der Schelde bis zur Maas. Das geistige Leben der Vlamingen seit dem IVie-
deraufblühen der Literatur. Von Ida von Düringsf eld. Leipzig 1861.
G. Ad. Lehmann. 1. Bd. Svo. S. XX u. 360. 11. Bd. S. H03. 111. Bd.
• S. 367.
Nach dem Titel dieses Buches sollte man auf den ersten Anblick glauben,
einen Roman vor sich zu haben, deren von der geistreichen Verfasserin, äusser
ihren Reisebeschreibungen in Italien, Dalmatien u. s. w., mehrere bestens be-
kannt sind; allein das vorliegende Werk ist eine sehr ernste Arbeit, die uns
mit einer ganz neuen Literatur bekannt macht. Neu ist sie, denn auch das
Volk, dem sie angehört, hatte sich lange nicht geltend gemacht. Cäsar fand
hier Germanen, welche die früher dort wohnenden Celten vertrieben oder
unterjocht hatten; unter den Franken erreichte in jener Gegend, dem heutigen
Belgien, das deutsche Element die höchste Bedeutung, von dem jetzt kleinen
Orte Ileristali ausgehend. In jenem flachen Lande auf der Grenzscheide zwi-
schen Deutschland und Frankreich gelegen, musste jede Gemeinde an ihre
eigne Vertheidigung denken, daher sie nicht wie in Deutschland dem Feudal-
wesen in gleicher Art unterlagen. Das jetzige Belgien hatte im Laufe der
Zeiten verschiedene Landesherren, die nur Vortheil davon hatten, wenn die
einzelnen Gemeinden sich frei zum Wohlstände entwickelten; daher auch der
Wechsel der Landesherren auf die Nationalität weniger Einfluss hatte. Die
unter dem germanischen Belgien lebenden Wallonen behielten ihre Nationalität,
die der Romanen, während die Mehrzahl das germanische Element bewahrte,
selbst nach der Trennung von Holland, mit dem sie am meisten sprachverwandt
sind. Neben dem Bürgerthum machte sich freilich eine bedeutende Aristokratie
geltend, welche wie überall das französische Wesen annahm; allein die Bür-
ger, der Kern des Volkes, liessen sich dadurch nicht irre machen, obgleich in
Folge der Revolutionskriege das Land ganz zu Frankreich geschlagen wurde,
nachdem Preussen im Frieden von Basel das deutsche linke Rheinufer aufge-
geben hatte, wofür es mit Münster, Paderborn u. s. w. entschädigt wurde.
Nach 300jähriger Trennung wurden die Niederlande, Holland und Belgien, end-
lich durch den Wiener Congress wieder vereinigt, und die angestammte Sprache
trat wieder in ihre Rechte; danach verbanden sich die Vlamingen, die Ger-
manen mit den Wallonen, den Romanen, gegen die stammverwandten Hol-
länder , was in dem mehr selbständig ausgebildeten Gemeindewesen sei-
nen Grund hatte. Die Verfasserin weist dies sogar in der Literatur nach;
diese bildete sich in Holland wissenschaftlich, in Belgien zunftmässig aus.
„Die Belgier beider Nationalitäten wollten nicht Holländer werden; sie wollten
nicht französisch, aber anders niederdeutsch werden, als sie sind. Darum
riefen sie mit den Wallonen: Freiheit! und wurden Belgier.“ Die wahre
Freiheit aber besieht darin, das jeder die Freiheit des andern achtet; darum
LIV. Jahrg. 10. Heft. 50
 
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