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Nr. 45.

HEIDELBERGER

1861.

JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Minos. Ueber die Interpolationen in den römischen Dichtern, mit besonderer
Rücksicht auf Horaz, Virgil und Ovid. Von 0. F. Gruppe. Leipzig.
Druck und Verlag von B. G. Teubner. 1859. XX und 584 S. in gr. 8.
Das vorstehende Werk wird, als eine in ihrer Art merkwürdige Erschei-
nung jedenfalls die Aufmerksamkeit der Kritik, deren Aufgabe die Wiederher-
stellung der Texte der alten Autoren in ihrer ursprünglichen Gestalt bildet,
in nicht geringem Grade erregen, selbst da, wo die dem Werke zu Grunde
liegende Tendenz und die daraus hervorgegangenen Ergebnisse von vorneher-
ein auf den entschiedensten Widersprnch stossen, wie diess wohl bei allen
denjenigen Kritikern zu erwarten steht, welche die positive Grundlage noch
nicht völlig aufgegeben haben und einem r.ein subjectiven und negativen Ver-
fahren in der Behandlung der alten Texte nicht ganz verfallen sind. Es be-
schäftigt sich nämlich dieser Minos mit der Texteskritik der römischen Dichter
und zwar zunächst derjenigen, welche schon in der alten Römer Zeiten, seit
dem ersten christlichen Jahrhundert auf den Schulen gelesen, dann auf das
Mittelalter übergegangen und so auch jetzt wieder für unsere gesammte wis-
senschaftliche Bildung ein wesentliches Element, ja die Grundlage derselben
ausmachen»
„Aber — so schreibt der Verfasser S. VI — die Werke der römischen
Dichter sind übersäet mit grösseren und kleineren Flickwerken der störend-
sten Art, dann aber auch hat man ganze Gedichte und Bücher untergeschoben,
von denen auffalland ist, dass sie durch zwei Jahrtausende unter so berühm-
ten Namen haben gehen können;“ es handelt sich hier also um „eine literari-
sche Falschmünzerei der raffinirtesten Art und auch der Ausdehnung nach
ganz ohne gleichen“: es bedurfte, um einen solchen colossalen Betrug zu ent-
decken, erst der kritischen Bildung unserer Zeit, um das, was Jahrhunderte,
ja Jahrtausende lang verborgen geblieben, zu erspähen. Und das vorliegende
Buch ist bestimmt, den Beweis dafür zu liefern, und jene grossartige Betrügerei
offen zu legen: obwohl dies in umfangreicher Weise geschehen ist, und das
Buch in Folge dessen einen bedeutenden Umfang erhalten hat, so sah sich
doch der Verf. genöthigt, noch Manches, ja selbst grössere Partieen, zurück-
zulegen, die ein hinreichendes Material auch noch für weitere Bände bilden.
Und wie dieser Band den Namen des einen der drei Todtenrichter an der
Stirne trägt, so würden an der Spitze der weiteren Bände die Namen eines
Aeacus und Rhadamantus glänzen; „die drei Richter der Unterwelt mö-
gen dann vereint wirken, hauptsächlich um den durch beinahe zwei Jahrtau-
sende verkannten Dichtern zu ihrem Recht zu verhelfen.“ (S. XV.)
Wir sind nun in der letzten Zeit allerdings an manches Auffallende auf
dem Gebiete der Kritik gewöhnt worden, wenn anders da noch von Kritik
die Rede sein kann, wo jeder positive Grund und Boden verlassen oder auf-
gegeben ist; wir sind, insbesondere bei den lateinischen Dichtern, seit dem
UV. Jahrg. 9. Heft. 45
 
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