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882

Hermann: Verhältniss der Philosophie u. s. w.

bekannte, so kann ein Philosoph aus Philosophie keinem herrschen-
den Systeme der Zeit huldigen.
Systematische Ordnung wird von dem Herrn Verf. S. 4 mit
Recht als „die Gesammteigenthiimlichkeit aller echten und gedie-
genen Wissenschaft“ bezeichnet; deshalb ist aber noch lange nicht
nothwendig, dass d r Lehrinhalt ein einzelnes, alle andern Systeme
ausschliessendes System sei. Aus der richtigen, S. 5 ausgesproche-
nen Behauptung des Herrn Verf., dass die gegenwärtige Zeit eine
solche sei, „deren Denken von keinem bestimmten allgemein als
wahr anerkannten Systeme beherrscht werde“, geht deutlich hervor,
dass nicht das einzelne ausschliessende System der Philosophie das
Wesen der letzteren ausmacht, und dass die die einzelnen Systeme
kritisch behandelnde und umfassende Philosophie höher steht, als
ein einzelnes exclusives System. Sagt doch der Herr Verf. selbst,
dass gerade in unserer Zeit, welche „kein einzelnes System“ be-
herrscht, „die historische Betrachtung der Philosophie einen breiteren
Umfang und tieferen Boden gewonnen habe, als jemals zu einer frü-
heren Zeit“. Allerdings entwickelt sich die Philosophie in der Form
von Systemen; aber die einzelnen Systeme sind nur vorübergehende
Träger der Philosophie an sich, welche höher, als jene, steht, in-
dem sie die vernünftigen haltbaren Errungenschaften derselben fest-
hält und sie zur Grundlage neuerer und freierer Entwickelung macht,
dagegen alles Unhaltbare, Einseitige, willkürlich Angenommene und
Widersprechende der einzelnen Lehrgebäude ausstösst. So steht die
Philosophie über den Systemen, wenn sie gleich auch in dieser
Stellung systematische Form und Ordnung hat, und so bleibt Schil-
ler’s Wort wahr:
„Welche wohl bleibt von allen den Philosophieen? Ich weiss es nicht;
Aber die Philosophie, hoff’ ich, soll ewig besteh’nl“
Sehr wahr wiid S. 5 die Kenntniss der Geschichte der Philo-
sophie „die erste und unumgängliche Voraussetzung“ für jeden Ver-
such des neuen und selbstständigen Philosophirens genannt. Die
historische und die selbstthätig schöpferische Philosophie bedingen
sich wechselseitig, die erste ist das Mittel, die zweite der Zweck.
Der Systematiker muss auch Historiker sein.
Die Geschichte der Philosophie erscheint einmal als eine „Ge-
schichte der menschlichen Irrthümer“ (S. 7), weil das einzelne Sy-
stem „ein mehr oder weniger verfehlter Versuch“ ist. Auf der an-
dern Seite gehören diese Irrthümer „zu den grossartigsten Thaten
und Anstrengungen des menschlichen Geistes, aus denen die man-
nichfachsten und fruchtbarsten weiteren Anregungen hervorgegangen
sind.“ Nach des Ref. Dafürhalten würde dieses genauer dahin be-
stimmt werden müssen, dass jeder relative Irrthum (und ein solcher
und kein absoluter ist in jedem System) auch eine relative Wahr-
heit bedingt, und diese, nicht der Irrthum, die provisorische Er-
rungenschaft des Systems, ist die „grossartige That und Anstrengung
 
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