DOI Heft:
Nr. 51
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.45244#0323
1872,
Πτ. 51. HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen
Vereins zu Heidelberg.
Vor trag des Herrn Prof. H. Alexander Pagenstecher
«Uebe reinen Fall von Mangel der Lunge beim Kalbe»
am 26. April 1872.
(Das Manuscript wurde alsbald eingereicht.)
Dem zoologischen Institute wurde im verflossenen Winter die
Leiche eines Kalbes angeboten, welches, nachdem die Kuh den
Gebärakt nicht zu Ende bringen konnte und geschlachtet wurde,
aus der Mutter herausgenommen worden war. Dem Thiere ging
eine fabelhafte Schilderung voraus, was die ungeheure Grösse und
das Ansehn betraf, und wurde es namentlich als mit einem Löwen-
kopfe versehn beschrieben. Unter einem solchen Titel kam das
Wunderthier auch durch eine anonyme Berichterstattung in eine
Zeitung des Landes.
Der beigebrachte Cadaver liess nun alsbald als wesentliche
Grundlage aller vorfindlichen Difformitäten eine sehr ausgebildete
Wassersucht erkennen. Weil aber nun einmal das Thier mühsam
von dem ohnehin hart betroffenen Eigenthümer, der Kuh und Kalb
zugleich verlor, aus dem Odenwalde hergeführt war, erwarb man
das Stück um ein Geringes für das Institut und fand sich bei
der weitern Untersuchung durch den Befund einer höchst auffälli-
gen Hemmung der Entwicklung eines der wichtigsten innern
Organe belohnt.
Durch die Wassersucht, welche ebensowohl eine Unterhaut-
wassersucht wie eine der Unterleibs- und Brusthöhle war, war das
Gewicht desThieres auf 180 Pfund, etwa das dreifache, was sonst
von einem Odenwaldkalbe zu erwarten wäre, gestiegen. Das Ge-
webe der cutis war ganz gelockert und das Fell, welches gut von
Haaren bedeckt war, fast werthlos. Die Haut war überall sack-
artig ausgedehnt und der Kopf besonders an der Stirne zur Un-
kenntlichkeit geschwollen.
Nach Eutleerung des Wassers erschienen die übrigen Brust-
eingeweide normal aber die Lungen wurden gänzlich vermisst.
Das danach hergestellte und vorgezeigte trockne Präparat zeigt
die Luftröhre mit Kehlkopf und Zungenbein gehörig entwickelt.
Statt der drei den Wiederkäuern zukommenden Lungenhauptlappen
hängen jedoch nur ein Paar kleine Läppchen an, in Volumen zu-
LXV. Jahrg. 11. Heft. 51
Πτ. 51. HEIDELBERGER
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Verhandlungen des naturhistorisch-medizinischen
Vereins zu Heidelberg.
Vor trag des Herrn Prof. H. Alexander Pagenstecher
«Uebe reinen Fall von Mangel der Lunge beim Kalbe»
am 26. April 1872.
(Das Manuscript wurde alsbald eingereicht.)
Dem zoologischen Institute wurde im verflossenen Winter die
Leiche eines Kalbes angeboten, welches, nachdem die Kuh den
Gebärakt nicht zu Ende bringen konnte und geschlachtet wurde,
aus der Mutter herausgenommen worden war. Dem Thiere ging
eine fabelhafte Schilderung voraus, was die ungeheure Grösse und
das Ansehn betraf, und wurde es namentlich als mit einem Löwen-
kopfe versehn beschrieben. Unter einem solchen Titel kam das
Wunderthier auch durch eine anonyme Berichterstattung in eine
Zeitung des Landes.
Der beigebrachte Cadaver liess nun alsbald als wesentliche
Grundlage aller vorfindlichen Difformitäten eine sehr ausgebildete
Wassersucht erkennen. Weil aber nun einmal das Thier mühsam
von dem ohnehin hart betroffenen Eigenthümer, der Kuh und Kalb
zugleich verlor, aus dem Odenwalde hergeführt war, erwarb man
das Stück um ein Geringes für das Institut und fand sich bei
der weitern Untersuchung durch den Befund einer höchst auffälli-
gen Hemmung der Entwicklung eines der wichtigsten innern
Organe belohnt.
Durch die Wassersucht, welche ebensowohl eine Unterhaut-
wassersucht wie eine der Unterleibs- und Brusthöhle war, war das
Gewicht desThieres auf 180 Pfund, etwa das dreifache, was sonst
von einem Odenwaldkalbe zu erwarten wäre, gestiegen. Das Ge-
webe der cutis war ganz gelockert und das Fell, welches gut von
Haaren bedeckt war, fast werthlos. Die Haut war überall sack-
artig ausgedehnt und der Kopf besonders an der Stirne zur Un-
kenntlichkeit geschwollen.
Nach Eutleerung des Wassers erschienen die übrigen Brust-
eingeweide normal aber die Lungen wurden gänzlich vermisst.
Das danach hergestellte und vorgezeigte trockne Präparat zeigt
die Luftröhre mit Kehlkopf und Zungenbein gehörig entwickelt.
Statt der drei den Wiederkäuern zukommenden Lungenhauptlappen
hängen jedoch nur ein Paar kleine Läppchen an, in Volumen zu-
LXV. Jahrg. 11. Heft. 51