XXII. Der Sinnenreiz!
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XXII. Der Sinnenreiz.
Neben dem in dem vorigen Abschnitte geschilderten Raffine-
ment der Empfindung gellt, wie es stets in der Geschichte der
Fall zu sein scheint, ein Raffinement der Sinnlichkeit her. Die
Literatur der Diadochenperiode . ist überreich an Producten
schlüpfrigen Inhalts. Ich begnüge mich, an die lüsternen Dich-
tungen des Philetas, an die berüchtigten Bücher der Phihünis und
Elephantis und an die milesifchen Mährchen des Aristeides zu
erinnern. Daneben beschäftigt sich die Literatur eifrig mit der
Knabenliebe , zieht bisher unberührt gebliebene Mythen solchen
Inhalts in ilrr Bereich und überträgt diese Leidenschaft selbst in
Sagen, deren ursprüngliche Form nichts davon berichtete.. Wäh-
rend nach der älteren Ueberlieferung Apoll dem Adraetos dient,
um eine Blutschuld abzubüssen, dichten Kallimachos und Rhi-
anos1), dass sich der Gott aus Liebe zu dem schönen Jünglinge
diesem Dienste unterzog. Uebrigens wurde die Knabenliebe nicht
immer mit der melancholischen Stimmung, wie sie in den. Epw-
tsc r] xaXol des Phanokles durchklingt-), sondern bisweilen mit
einer recht behaglich lüsternen Gourmandise behandelt3).
Die gleichzeitige Kunst zeigt ganz entsprechende Erschei-
nungen. Allerdings waren unzüchtige Gegenstände auch früher
bildlich dargestellt worden. Scenen dieser Art finden sich be-
reits auf Gelassen mit braunen oder schwarzen Figuren, doch
mit einer Behandlung, die Niemand als sinnlich reizend bezeichnen
wird; vielmehr erscheinen sie schlechthin obseön, und lassen sie
sich am Besten den derben Spässen der älteren attischen Komödie
vergleichen. Ferner spielt Euripides in dem Hippolytos 4) auf
unzüchtige Gemälde an und berichtet Plinius5), dass Parrhasios
in seinen Mussestunden. um sich zu erholen, libidines malte.
Eines dieser Bilder des Parrhasios, das einzige, über welches wir
näher unterrichtet sind11), stellte Atalante dar, quae Meleagro
ore morigeratur, und verfolgte demnach als Hauptzweck sar-
kastischen Spott gegen spröde Jungfräulichkeit. Dagegen ist es
unzweifelhaft, dass der Stoff in einer die Sinne erregenden Weise
behandelt war; denn sonst hätte sich Tiberius, dem das Gemälde
testamentarisch vermacht wurde, schwerlich gemüssigt gefühlt,
t) Callimach. bymn. in Apoll. 48 ff.; Rhianos bei Meineke, anal,
alex. p. 180. Vgl. Antipater von Sidon Ant. pal. IX 241.
2) Vgl. Preller, Rhein. Mus. IV (184ti) p. 30!) ff.
3) Siehe namentlich die Epigramme des Rhianos, Anth. pal. XII
:tS, 30 (Meineke anal alex. p. 207, I, 3).
4) Vers 1005. 5) XXXV 72. 6) Sueton. Tiber. 44.
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XXII. Der Sinnenreiz.
Neben dem in dem vorigen Abschnitte geschilderten Raffine-
ment der Empfindung gellt, wie es stets in der Geschichte der
Fall zu sein scheint, ein Raffinement der Sinnlichkeit her. Die
Literatur der Diadochenperiode . ist überreich an Producten
schlüpfrigen Inhalts. Ich begnüge mich, an die lüsternen Dich-
tungen des Philetas, an die berüchtigten Bücher der Phihünis und
Elephantis und an die milesifchen Mährchen des Aristeides zu
erinnern. Daneben beschäftigt sich die Literatur eifrig mit der
Knabenliebe , zieht bisher unberührt gebliebene Mythen solchen
Inhalts in ilrr Bereich und überträgt diese Leidenschaft selbst in
Sagen, deren ursprüngliche Form nichts davon berichtete.. Wäh-
rend nach der älteren Ueberlieferung Apoll dem Adraetos dient,
um eine Blutschuld abzubüssen, dichten Kallimachos und Rhi-
anos1), dass sich der Gott aus Liebe zu dem schönen Jünglinge
diesem Dienste unterzog. Uebrigens wurde die Knabenliebe nicht
immer mit der melancholischen Stimmung, wie sie in den. Epw-
tsc r] xaXol des Phanokles durchklingt-), sondern bisweilen mit
einer recht behaglich lüsternen Gourmandise behandelt3).
Die gleichzeitige Kunst zeigt ganz entsprechende Erschei-
nungen. Allerdings waren unzüchtige Gegenstände auch früher
bildlich dargestellt worden. Scenen dieser Art finden sich be-
reits auf Gelassen mit braunen oder schwarzen Figuren, doch
mit einer Behandlung, die Niemand als sinnlich reizend bezeichnen
wird; vielmehr erscheinen sie schlechthin obseön, und lassen sie
sich am Besten den derben Spässen der älteren attischen Komödie
vergleichen. Ferner spielt Euripides in dem Hippolytos 4) auf
unzüchtige Gemälde an und berichtet Plinius5), dass Parrhasios
in seinen Mussestunden. um sich zu erholen, libidines malte.
Eines dieser Bilder des Parrhasios, das einzige, über welches wir
näher unterrichtet sind11), stellte Atalante dar, quae Meleagro
ore morigeratur, und verfolgte demnach als Hauptzweck sar-
kastischen Spott gegen spröde Jungfräulichkeit. Dagegen ist es
unzweifelhaft, dass der Stoff in einer die Sinne erregenden Weise
behandelt war; denn sonst hätte sich Tiberius, dem das Gemälde
testamentarisch vermacht wurde, schwerlich gemüssigt gefühlt,
t) Callimach. bymn. in Apoll. 48 ff.; Rhianos bei Meineke, anal,
alex. p. 180. Vgl. Antipater von Sidon Ant. pal. IX 241.
2) Vgl. Preller, Rhein. Mus. IV (184ti) p. 30!) ff.
3) Siehe namentlich die Epigramme des Rhianos, Anth. pal. XII
:tS, 30 (Meineke anal alex. p. 207, I, 3).
4) Vers 1005. 5) XXXV 72. 6) Sueton. Tiber. 44.