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Schaefer, Johann Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Kreis Offenbach — Darmstadt: Bergstraesser, 1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.18296#0187
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i6o

KREIS OFFENBACH

Oberbau durch Vermittelung von jonischen Kapitalen mit stark ausladenden Voluten
und sind flankirt von geschwungenen Ornamentabschlüssen mit wohlstylisirten Ro-
setten und Passionsblumen. Die eine Figur ist mit gefaltenen Händen dargestellt;
die andere legt die rechte Hand auf die Brust und lässt die Linke herabsinken.
In der Mitte des Altars wölbt sich über dem' Simszug der Predella eine Nische
im Zirkelschlag. Darüber erscheint Gottvater in Reliefdarstellung. Das Relief ist
umrahmt von zierlichen Pilastern, über welchen die verstümmelte Bekrönung auf-
steigt. Die Felder der seitlichen Ornamentabschlüsse sind von grotesken Thier-
figuren umgeben und zeigen Anklänge des sogenannten Metallstyles, welcher
Formen geschmiedeten Bandwerkes plastisch auf den Stein übertrug. Die Thier-
grotesken umschlingen medaillonförmige Reliefbildwerke mit Darstellungen aus der
Leidensgeschichte. Rechts erscheint die Oelbergscene, links die Kreuztragung.
Diesen beiden Passionsbildern entsprechen auf den Predellaflächen die Geisselung
und die Dornenkrönung. Der Gedanke liegt nahe, dass diese Vorgänge als Be-
standtheile des Cvklus der fünf schmerzhaften Geheimnisse des Rosenkranzes zu
erklären sind, worin zur Vervollständigung des Ganzen nur die Kreuzigung fehlt.
Als Darstellung des Höhepunktes des Erlösungswerkes auf Golgatha schmückte
dieses fehlende Relief ohne Zweifel das Nischenfeld im Centrum des Altaraufsatzes.
Im Laufe der Zeit wurde das plastische Werk durch ein kunstloses Madonnen-
gemälde verdrängt, welches in der Auffassung an das in der St. Jakobskirche zu
Innsbruck befindliche Mariahilfbild von Lukas Kranach d. Ä. erinnert. Glücklicher
Weise ist das aus dem Altar entfernte Relief noch vorhanden. Jeder Kundige
erkennt es sofort in der Kreuzigung, welche an der Aussenseite des Kirchleins
am Chorhaupt eingemauert ist. Die formlosen Umrisse der Steinplatte verrathen
deutlich die Spuren des gewaltsamen Herausbrechens aus dem Gesammtwerk. Wir
erblicken eine figurenreiche Darstellung, 70 cm hoch, 60 cm breit, deren Mitte
der gekreuzigte Heiland mit den Schächern einnimmt. Der göttliche Dulder neigt
in Ergebung das Haupt. Die Schacher sind lebhaft bewegte Gestalten. Der eine,
Dismas, blickt vertrauensvoll zum Heiland auf; der andere, Cesmas, schaut abge-
wendet zur Erde. Magdalena knieet am Fuss des Kreuzes. Im Mittelgrund rechts
sinkt die schmerzerebeugte Mutter in die Arme der frommen Frauen und des
treuen Jüngers Johannes. Links erscheint ein vornehmes Paar zu Pferde, allem
Anscheine nach der Donator und die Donatrix des Altares. Sie siud begleitet
von einem bewaffneten Knappen und schauen theilnehmend dem ergreifenden Vor-
gange zu. In einiger Entfernung von dieser Gruppe steht ein Engel mit einem
Knaben an der Hand. Weiterhin kauern die um des Erlösers Gewand würfelnden
Söldner am Boden. Zahlreiche Krieger, Peiniger und Zuschauer bewegen sich im
Vordergrund. Im Hintergrund breitet sich eine von Bäumen umgebene, mit
Thürmen, Rundtempeln und anderen Gebäuden geschmückte Landschaft aus, als
ideale Darstellung der Stadt Jerusalem. Die vornehmsten Figurengruppen sind als
Hochrelief, die Nebengruppen als Flachrelief gemeisselt und überall tritt in der
Darstellung das Bestreben hervor, durch landschaftliche wie architektonische Mo-
tive der Gruppenbildung und Raumvertheilung im Sinne eines perspektivisch abge-
stuften Bildes eine malerische Wirkung zu verleihen, eine Behandlung des Reliefs,
 
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