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Schaefer, Johann Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Kreis Offenbach — Darmstadt: Bergstraesser, 1885

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https://doi.org/10.11588/diglit.18296#0198
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SELIGENSTADT

I7I

Obermühlheim als eine kleine, in Stein gebaute Basilika (»basilicam parvam muro
factam« heisst das Gebäude in der Schenkungsurkunde Ludwigs des Frommen)
vorgefunden und deren geringe Abmessungen ihn zur Errichtung des grösseren
Kirchenbaues veranlasst hatten. Manche Forscher sind geneigt, diese kleinere
Basilika in der St. Laurentiuskapelle zu erkennen, von welcher wir bereits wissen
(s. oben S. 166), dass sie im Jahre 1841 sammt dem Mainthorthurm niedergelegt
worden, um einem neuen Schulgebäude Platz zu machen. Wir finden jene Meinung
nirgends weder historisch noch stylistisch näher begründet. Allein von der
St. Laurentius-Kapelle und zwar aus den Schallöffnungen ihres obersten Thurm-
geschosses stammen die vier zierlichen Säulen, welche jetzt das Giebelwerk der an das
Schulgebäude sich anlehnenden kleinen, tempelartigen Alterthumshalle stützen. Diese
charakteristisch stylisirten kleinen Säulen könnten uns veranlassen, ebenfalls für die
Identität der St. Laurentius-Kapelle und der primitiven Basilika von Obermühlheim
einzutreten, stünde dem nicht die von Einhard selbst herrührende Situationsnotiz
entgegen, wonach dieses Bauwerk westlich von der neuen Basilika (»occidentem versus
a nova basilica«) seine Stelle hatte, während die St. Laurentius-Kapelle in nördlicher
Richtung davon gelegen war, wie aus einem im Archiv der Abtheilung für Bauwesen
des Grossherzoglichen Ministeriums der Finanzen zu Darmstadt befindlichen Situa-

m

tions-Handriss der Umgebung der Abteikirche hervor-
geht. (Vergl. Abb. Nr. 40.)

Die vier in den Formen übereinstimmenden
Saiden vorrathen gleichwohl den karolingischen Ursprung
in allen ihren Theilen. Die Basamente folgen der atti-
schen Richtung. Den Säulenstämmen fehlt weder Ver-
jüngung noch Anschwellung. Die Kapitäle sind in
der etwas ungelenken Technik ihrer gedoppelten
schlichten Blattumkränzung nebst Volutenansätzen
sprechende Versuche klassierender Nachbildung, der-
gleichen in der nachkarolingischen Kunst unter Ein-
wirkung des entschieden romanischen Stylgesetzes
nicht mehr vorkommen. Ob die merkwürdigen Säulen
der voreinhardischen Basilika dennoch angehört und
Fig. 41. Seligenstadt. Säule an nach deren Verschwinden in den Schallöffnungen des

der Alterthumshalle. gt> Laurentius-Kapellenthurmes Verwendung gefunden

Massstab 1 : 20 und 1 : 10. . . . . , , . „

haben, mag keine ganz unberechtigte t rage sein;

dieselbe kann jedoch nur eine hypothetische Beantwortung finden. Wie dem auch sei,

in Rücksicht auf so manche schwankenden Vorstellungen, welche über das Wesen der

karolingischen Kunst und ihre Erscheinungsformen bestehen, bleibt es Pflicht der

Forschung, auch auf minder in die Augen fallende Zeugnisse zu achten. Wir geben darum

(vergl. Abb. Nr. 41) die getreue Abbildung einer der in Rede stehenden Säulen

der Alterthumshalle.

Die Abteikirche St. Peter und Mar cellin ist seit 1812 katholische Pfarr- Einhard-Basilika
kirche. Aus der Ferne gesehen und den rheinischen Domen und Mimstern ver-
gleichbar, erhebt sich die Kirche in thurmreicher Pracht und wirkungsvoller Mo-
 
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