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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 31.1915-1916

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Grautoff, Otto: Die französische Literatur über die Zerstörung der Kirchen und Baudenkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.13094#0378

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der Kultur ihres Landes, über der, wie ein
zeitgenössischer Dichter Frankreichs—nicht
Deutschlands — vor dem Krieg geschrieben
hat, der Geruch des Todes schweben soll.

In einem Buche, das kürzlich bei Max
Drechsel in Bern unter dem Titel „Kunst-
verwaltung in Frankreich und Deutschland"
erschien, wird ohne dialektische Blendung
ruhig und sachlich an Tatsachen, Daten und
Aussprüchen von Franzosen erwiesen, daß
die Franzosen mehr als andere Völker im
Laufe der Jahrhunderte die Zerstörung von
Kunstwerken betrieben und in den letzten
Jahrzehnten den Verfall ihrer historischen
Denkmäler und Museen geduldet haben. Bar-
res, A. Monis, Broquelet, Cochin, Hailays,
Peladan, Rodin — d. h. Franzosen, die auch
dem offiziellen Frankreich von heute teure
Namen und repräsentative Gestalten sind, —
behaupten es und der zynische Ausspruch des
AbgeordnetenBeauquier beweist es :„DaGott
allmächtig ist, muß er dafür sorgen, daß seine
Kirchen nicht zusammenstürzen und sie
selbst ausbessern... Wenn er dieses Wun-
der nicht vollbringt, so will er nicht, daß es
geschieht, und wenn er es nicht will, müs-
sen wir uns vor seinem Willen beugen." Die-
ser Ausspruch, der nach Barres' Mitteilung
in der Kammersitzung vom 16. Januar 1911
mit Lachen und Beifall aufgenommen wurde,
charakterisiert die Stellungnahme der fran-
zösischen Regierung gegenüber der Pflege
ehrwürdiger Denkmäler der ruhmreichen
Vergangenheit des Landes. Es ist nicht an-
zunehmen, daß die offiziellen Kammerbe-
richte vom 16. Januar 1911 und vom 25. No-
vember 1913 plötzlich als gefälscht gelten
sollten, nur weil Krieg ist. Es läßt sich
nicht denken, daß der heilige Zorn eines
Maurice Barres gegen den Geist des Kunst-
vandalismus in Frankreich plötzlich auf
einem Irrtum beruhen soll. Er hat den Ver-
fall der von ihm geliebten Kirchen Frank-
reichs mit allzu großer Ausdauer und Treue
verfolgt und er klagt die Gesetzgebung sei-
nes Landes an, daß sie diesem Verfall nicht
steuert, sondern Vorschub leistet. Er er-
zählt, welche Folgen ein Gesetzesparagraph
wie folgender hat: Die Gemeinden als Eigen-
tümer können die Kirchen erhalten, sind
aber nicht dazu verpflichtet; es steht ihnen
frei, keine Ausgaben zur Erhaltung dersel-
ben zu machen. Wenn das Gebäude in einem
zu schlechten Zustande ist, brauchen sie es
nur seiner Bestimmung zu entziehen und
können es abreißen, wenn der Verfall droht.
Und er erzählt die in ihren Einzelheiten gro-
teske Auktion der Kirchengegenstände und

Geräte der aus solchen Gründen dem Ab-
bruch anheimgefallenen Kirche von Grisy-
Suisnes im Jahre 1909.

„Unsere armen Kirchen! Es ist gar kein
Zweifel möglich, ihre Feinde haben sich
ihrer bemächtigt, sie umringt, sie in eine
Lage gedrängt, in der sie nunmehr durch
das Gesetz verkommen müssen. Das ist
kein böser Traum, sie stehen da wie Mär-
tyrer in der Arena.

Wem sind sie preisgegeben? Der Dumm-
heit."

Und dann erzählt Barres:

„Ende des Jahres 1909 empfing Abbe Auv-
ray, Pfarrer von Grisy-Suisnes, einem rei-
chen Marktflecken in der Gegend von Brie-
Comte-Robert, durch seine herrlichen Rosen
berühmt, eines Abends den Besuch des Feld-
hüters, der ihn bat, er möchte innerhalb
48 Stunden den Bürgermeister Triboulet da-
von unterrichteten, daß er von seinen verfüg-
baren Geldern die notwendigen Reparaturen
in der Kirche bestreiten müsse. Sie wären
notwendig und wichtig: Das Dach fiele in
Stücken in den Chor und in das Schiff, und
der offizielle Architekt schätze die Ausgabe
auf 48 000 Fr. Herr Auvray hatte 25 000 Fr.
aufgetrieben, die er der Stadtverwaltung zur
Verfügung stellte, mehr aber konnte er nicht
tun ... Nachdem 6 Monate vergangen waren,
kam der Feldhüter wieder ins Pfarrhaus,
ließ sich unter einem Vorwand die Kirchen-
schlüssel geben, die er hastig in die Tasche
steckte und benachrichtigte den Pfarrer,
daß ein Erlaß erschienen wäre und daß die
Kirche ihrer ursprünglichen Bestimmung
entzogen wäre ... Noch in derselben Woche
erschien eine von dem Bürgermeister Tri-
boulet und dem Magistratsdiener Paillard
gezeichnete Ankündigung der Versteigerung
der Kirchengegenstände und Geräte.

Henry Carbonelles wohnte der Auktion bei
und berichtete darüber folgendes: „Als ich in
Grisy eintraf, begegneten mir auf der Straße,
die vom Bahnhof zum Dorf führt, drei oder
vier junge Leute aus der Gegend, die Chor-
knabenkleider erworben hatten. Sie hatten
Soutanen angezogen und kleine Kardinal-
käppchen übergestülpt. Sie gestikulierten
lebhaft und sangen obszöne Lieder.

In der Kirche selbst standen etwa 50 Per-
sonen um Herrn Paillard herum, der den
Taxator abgab. Paillard übte dieses Amt
hochaufgerichtet auf den oberen Stufen des
Hauptaltars aus; neben ihm schrieb ein
Schreibergehilfe die Preise auf.

— ... 15 Fr. ein Beichtstuhl... 15 Fr.!--

... 16, 17, 18...

Die Kunst für Alle XXXI.

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