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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 52.1936-1937

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Franz von Lenbach: zur 100. Wiederkehr seines Geburtstages am 13. Dezember
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Naager, Franz: Franz von Lenbach: aus meinen "Lebenserinnerungen"
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https://doi.org/10.11588/diglit.16484#0094

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Was mich anbelangt, so möchte ich viel eher glau-
ben, daß die Kunst dort beginnt, wo das Denken
aufhört. Der letzte Zweck der Kunst ist es über-
haupt, das Denken auszusetzen, die Denkmaschine
stehen zu lassen, uns das Grübeln zu vertreiben und
uns in einen wonnigen Zustand zu versetzen, der
mit nagenden Gedanken nichts zu tun hat. Auch
die Liebe bewirkt ja einen solchen Zustand im
Menschen; dasselbe tun die schönen, harmonischen
Verhältnisse eines edeln Bauwerkes oder ein Son-
nenuntergang. Ein solches Schauspiel regt ja auch
nicht das Denken an; wir fühlen uns in dieser
großartigen Glorie dahinschweben, eine Welle im
Ozean süßer Harmonie. Der Genuß der Kunst ist
die Erlösung vom Denken, vom Spekulieren, von
der Philosophie.

*

Was Michelangelo anbelangt, um den Sie mich fra-
gen, so hatte ich damals in der Sistina nur einen
mäßigen Eindruck. Ich lehnte damals ziemlich
energisch alles ab, was nicht in meine Richtung
paßte. Michelangelo, mit seiner Welt voll gewal-
tiger Gliedmaßen und Akte, erschien mir wie eine
verrückte, danteske Welt; dagegen entzückte mich
Tizian durch seine Ruhe, durch seine idyllische,
paradiesische Herrlichkeit, und ich sah schon da-
mals in ihm das Höchste. Wenn man vor einem
solchen Bilde steht, erholt man sich von dem Ge-
wirr, von dem wüsten Gedränge und Lärm dieses
Lebens und wird da in den Himmel eines unver-
gleichlichen Künstlers aufgenommen.
.,Die Schule von Athen" schien mir damals schon
deshalb kein vollkommenes Kunstwerk zu sein, weil

sie nicht mit einem einzigen Blick zu übersehen ist.
Sie machte mir daher den Eindruck einer Land-
karte, wo das Auge von Punkt zu Punkt wandert.
Heute denke ich anders.

So z. B. machte Böcklin mich darauf aufmerksam,
daß die Alten auf Architekturbildern gewisse Fi-
guren mit großer Härte zeichneten, um deren Um-
gebung weich und zart erscheinen zu lassen. Auch
lehrte er mich durch Gegensätze der Farben Wir-
kungen zu erzielen, wie man z. B. durch ein starkes
Gelb und Rot gewisse Blau und Grau zauberhaft
erscheinen lassen könne. Anderseits aber machte er
mich irre in meiner Auffassung vom Bildnis.
Es handelte sich nämlich um den Kampf des sym-
bolischen, generellen Bildnisses mit dem individuel-
len, ein Kampf, der in der Brust des jüngeren
Künstlers durch den Einfluß des ihm an Erfahrung
weit überlegenen älteren Böcklin entzündet wurde.
Böcklin war der Ansicht, daß man z. B. bei dem
Bildnis eines jungen Mädchens von vornherein
sehen müsse, daß es sich um ein solches handle, es
müsse daher, was Kleidung anbelangt, in Früh-
lingsfarben dargestellt werden. Mir schien es im
Gegensatze dazu, daß, je mehr man sich auf solche
allgemeine jugendliche Symbole oder Effekte ein-
lasse, desto mehr der individuelle Charakter des
Bildnisses Schaden leiden müsse. In diesem Kampfe
zwischen der symbolischen und individuellen An-
schauung hat Böcklin sein Leben zugebracht, und
ich meinerseits habe Jahre gebraucht, mich aus die-
ser Anschauung in meine eigne hinüberzuretten.
*

Franz von Lenbach. Aus meinen „Lebenserinnerungen". Von Prof. Franz Naager

Ich will in diesem Berichte nur meine Verehrung; sowohl für den Menschen als auch für den
Künstler zu Wort kommen lassen, natürlich mit der ganzen Einseitigkeit eines in die Kunst
Lennachs und auch seine Menschlichkeit verliebten Zeitgenossen. Ihn kunstwissenschaftlich
einzureihen, überlasse ich ganz und gar den Historikern, und jedes Jahrzehnt wird ja doch wieder
der Zeit angemessen urteilen. Naager

Am 15. Dezember 1956 ist Lenbachs hundertster
Geburtstag. In Schrobenhausen, seinem Geburtsort,
war schon im Juli eine Feier, ebenso im Palazzo
Lenbachs, mit einer damit verbundenen Ausstel-
lung. Das Geburtshaus ist ein sehr schönes Bieder-
meierhäuschen, überaus idyllisch unter Bäumen ge-
legen. Lenbachs Vater war Baumeister, ich glaube,
man kann ihn ruhig Architekt nennen, war aus
Tirol zugewandert und offenbar ein künstlerisch
veranlagter Mensch. All das Nähere über ihn und
seine Familie ist festgelegt in einer Chronik in
Schrobenhausen. Rührend ist die Aufstellung aller

Erinnerungen im Museum von Schrobenhausen,
von dem ersten Stammeln an bis zum letzten Pin-
selstrich. In frühester Zeit, lange vor der Alten-
Meister-Befruchtung, war Lenbach schon ein aller-
erster Maler. Seine Landschaften mit und ohne
Staffage und sein im Grase liegender Hirtenbub
waren bereits bedeutende Werke. Schon damals ein
souveränes, großes Können, erstaunlich bei seiner
Jugendlichkeit, und von absoluter Ehrlichkeit. Wenn
nichts weiter existieren würde, wäre er bereits einer
der Großen. Bis hierher ist er reiner Naturalist
ohne jede Alte-Meister-Stinimung.

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