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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 52.1936-1937

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Wallner, Hans: Ernst August Freiherr von Mandelsloh
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Escherich, Mela: Natur und Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16484#0172

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sieht, wer nur die Sicherheit der Naturdurchdrin-
gung in seiner Landschaft sieht, der sieht wohl viel,
aber nicht alles und kennt nicht den ganzen Künst-
ler. Gewiß, die wahre Kunst ist nie durch das hand-
werkliche Können bestimmt. Damit soll aber ja
nicht gesagt sein, daß der wirkliche Künstler nicht
auch sein Handwerk verstehen muß. Mandelsloh
ist nun auch ein vollkommener technischer Könner
und man hat das Beste in seiner Kunst nicht ganz
gesehen, wenn man sich an seinen handwerklichen
Feinheiten nicht zu begeistern versteht. Was er-
fordert doch so ein Blatt für Vorbereitung. Mit der
Wahl des richtigen Papiers fängt's an. Wie vorsich-
tig wird jedes Blatt geleimt und aufgespannt, das
Papier dann ständig naß gehalten und die Farbe
dann in einem Zuge hingesetzt. Das bescheidenste
Ding spielt dann in den wunderbaren Farben, die
ein Schwarzdruck nicht einmal ahnen läßt.
Seine Blätter sind der Ausdruck einer neuen Kunst-

Natur Und Kunst. Von Mela Escherich

Die ziemlich überflüssigen Streitereien der letzten
hundert Jahre über Idealismus, Realismus, Natura-
lismus und so weiter haben zu den Extremen geführt,
daß man schließlich Kunst und Natur als Gegen-
sätze zu betrachten anfing.

Man sah in der Natur nur mehr das Modell, aus
dem die Kunst etwas zu machen habe.
Das ist verschrobene Wahrheit.

Natur kam in diesem Fall auf eine Sinnlosigkeit

heraus, die erst durch die künstlerische Gestaltung

des Menschen ihr wahres Sein empfängt!

Aber alle Natur sagt uns das Gegenteil.

Alle Naturformen sind Kunstformen.

Blatt, Stern, Spirale, Muskel, Welle, Wolke,— alles,

alles ist Form gewordene Idee.

Wie wir uns den Vorgang des Weltwerdens auch
denken mögen, wir kommen immer zu der gleichen
Spur: hinter allem Werden steht ein Wille, hinter
dem Willen eine Idee.

So auch stellten es die alten Miniaturenmaler dar:
Wollen, Schaffen und Werden. Gott als schaffender
Meister wirft aus seiner Hand Welt, Sonne, Mond
heraus, stößt Licht und Schatten auseinander, kne-
tet Menschen. Jede Naturform ist Dokument einer
Idee. Und bei aller unerschöpflicher Vielartigkeit
der Formen eine ebensolche Unaufhörlichkeit ihrer
Wiederholungen in allen Reichen von der Liefsee
bis in die Sterne hinauf. Jede Form gebiert sich in
unzähligen Materien wieder. Das Gekräusel einer
Locke wiederholt sich in windgehobner Welle, Wol-
ken nehmen in fließendem Wechsel menschliche,
tierische, gebirgische Formen an. Wurzeln ähneln
Menschen, Pflanzliches wiederholt sich in tierischen
inneren Organen.

gesinnung, entzücken wegen ihrer Geistigkeit und
ihrer sauberen, man möchte fast sagen formvoll-
endeten Handschrift.

Gerade darum ist seine Kunst so reich, weil Man-
delsloh ein geistig reicher Mensch ist, weil er ein
offenes Herz für die Dinge der Umgebung besitzt
und weil er über eine sichere, nie versagende Be-
obachtungsgabe verfügt. Auf ihn paßt das Wort
Schopenhauers: „Der Stil ist die Physiognomie des
Geistes."

Sein Werk, das einmalig und echt aus dem inner-
sten Wesen dieses selbstbewußten Künstlers ent-
springt, läßt keine schulmäßige Zuteilung zu Kunst-
gruppen und Richtungen zu. Lrotz aller Feinheit
der Empfindung, die sich weit über die Alltäglich-
keit erhebt, bleiben die Werke jedem frohen und
feinen Herzen verständlich. Dadurch schafft er mit
seiner Kunst einen wertvollen Beitrag zu der heute so
notwendigenVerbindungzwischenKünstlerundVolk.

Eine Alaterie äfft scheinbar die andre nach.
Alle menschlichen Kunstformen stecken irgendwo
in der Natur. In Blättern, Fasern, Wellen, Gestein,
in dem kunstgewerblichen Musterschatz der Liefsee
und der Insektenwelt ist alles da, was menschliches
Genie an Stilformen „erfand".

Der Mensch erfand sie nicht, er fand sie. Er fand
sie nicht in der Xatur: er fand sie in sich: weil er
Leil vom Ganzen ist.

Wir haben, wie alle andern Wesen, die Urformen
in uns, leiblich und geistig. Und brauchen sie nicht
aus der Natur zu holen. Deshalb ist alle Nachah-
mung (Naturalismus) verwerflich, weil wir alles
aus uns holen sollen und der Anblick der Dinge für
uns gewissermaßen nur das Fest der Begegnung
und des Erkennens ist.

Es ist nicht richtig, wie viele glauben, daß zum Bei-
spiel der gotische Spitzbogen aus den Eindrücken
der Wipfelwölbung des Waldes geholt sei. Nicht
eins kommt vom andern, sondern alles aus einem.
Urform ist alles.

So wenig die Materien in der Natur sich nachah-
men, sondern aus innerem Muß sich in gleichen
oder verwandten Formen äußern; so wenig sind die
Stilformen der Kunst aus der Natur übernommen.
Der Mensch kann sich nicht anders als in den für
alles gültigen Urformen äußern. So entstand Volute,
Palmette, Eierstab, Lischblase, Schliere, Schnörkel
usw.

Nur so erklärt sich auch das gleichzeitige Auftreten
der Stile in verschiedenen, weit voneinander ge-
trennten Völkern. Sie brauchen durchaus nicht Im-
port zu sein. Sie sind Formwille, der da und dort
ausbricht. Fortsetzung Seite 163

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