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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 52.1936-1937

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Christoffel, Ulrich: Der neue Neptunbrunnen von Josef Wackerle
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https://doi.org/10.11588/diglit.16484#0251

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Der neue Neptunbrunnen von Josef Wackerle. Von Ulrich Christoffei

Am 29. Mai wurde in München der neue Neptun-
brunnen von Josef Wackerle eingeweiht und damit
die Umgestaltung des alten Botanischen Gartens
und ehemaligen Glaspalastareales, die mit der Ver-
breiterung der Elisenstraße begonnen wurde, zum
festlichen Abschluß gebracht. Die einstige Glas-
palastmitte in der Flucht der Arcisstraße nimmt
das bei Einheimischen und Fremden rasch beliebt
gewordene Kaffeehaus von Prof. Bieber ein. das sich
mit seinen Laubengängen gegen Süden, gegen die
malerischen Silhouetten der barocken und gotischen
Justizbauten von Friedrich Thiersch wendet, die
den Ausblick wie mit einem schönen Panorama
abschließen. Etwas östlich von diesem Kaffeehaus
liegt der ebenfalls von Bieber entworfene kleine
Ausstellungstempel, der einen einzigen Oberlicht-
raum umschließt und der dazu bestimmt ist, Mo-
delle und Pläne von Neubauten oder auch einzelne
Kunstwerke der Öffentlichkeit bekannt und zugäng-
lich zu machen. Zur Zeit ist hier das Modell der
neuen Prinzregenten- und Von-der-Tann-Straße zu
sehen, das die Neubauten des „Hauses der Deut-
schen Kunst" und des Luftkreiskommandos sowie
die Einbauten am Xationalmuseum, am Prinz-
Karl-Palais und an der Ludwigstraße in anschau-
licher Gruppierung erkennen läßt. An den Außen-
seiten über den vier Eingangstüren zeigt dieser
Ausstellungsbau vier Steinreliefs, die die Künste
Musik, Bildhauerei, Malerei und Architektur dar-
stellen und unter der Oberleitung von Prof. Wak-
kerle von den Bildhauern Goebel, Sonnleitner und
Wißmeier ausgeführt wurden. Im ganzen bildet
dieser Tempel auch den tektonischen Hintergrund
für den Neptunbrunnen, der sich in seinen beweg-
ten Umrissen zugleich von den grünen Bäumen und
den leichtgetönten Mauern des Tempels abhebt. Das
Gartengelände vertieft sich zwischen dem Tempel
und der Elisenstraße zu einem breitangelegten, mit
Platten belegten und von Treppen und Bänken um-
rahmten Parterre, in dem das Brunnenbecken, nur
von einem flachen Band von der Gehbahn getrennt,
sich in seinem bewegten blauen Spiegel ausbreitet.
Diese ganze Anlage der Terrassen, Treppen, Profi-
lierungen und abschließenden Umrahmungen, die
einen wesentlichen Teil der künstlerischen Gesamt-
aufgabe betreffen, ist ebenfalls von Prof. Wackerle
in Zusammenarbeit mit Prof. Bieber erdacht und
entworfen worden. Man tut gut, sich auch von den
äußeren Maßen des Brunnens einen Begriff zu
machen. Der Wasserverbrauch für die Stunde würde
2800 Kubikmeter betragen und etwa dem Bedarf
der Stadt Bosenheim entsprechen, wenn nicht eine
elektrisch betriebene Wasserumwälzpumpe einen
Umlauf der Wassermassen ermöglichte, der den
Gesamtverbrauch ziemlich vermindert. Das beto-
nierte Brunnenbecken ist 50Meter lang und 15 Me-
ter breit und die Figur des Neptun erhebt sich bei

einer Sockelbreite von 4 Metern bis zu einer Höhe
von 7 Metern.

Mitten in seinem Element, nicht auf einem archi-
tektonischen Sockel, wie oft in den vielfigurigen
Benaissancebrunnen, sondern auf einem Naturfel-
sen stehend, erscheint der antikische Gott mit dem
Dreizack über der Schulter, eine wuchtige heroische
Gestalt, in der sich neben der großformigen, barock
bewegten Muskulatur auch das sportliche Kraft-
gefühl der Gegenwart, wie es nicht anders denkbar
einen neuen plastischen Ausdruck geschaffen hat.
Ihm zur Seite steigt, sich aufbäumend, eines der
Meerrosse aus den Fluten, dessen Fischschwanz sich
windend mit der Draperie, die dem Neptun von
der Schulter hängt, zu einer bewegten plastischen
Linie zusammenwächst, die die Bückansicht der
Gesamtgruppe mit einem ungewöhnlichen Formen-
reichtum belebt. Da die Figur frei im Wasser steht,
muß sie auch von allen Seiten ein geschlossenes und
schönes Bild ergeben. Zu beiden Seiten schließt die
Gruppe mit Tritonen, von denen der eine, wasser-
speiende, sich an den Pferdeleib anschmiegt, als ob
er an ihm hochklettern möchte, der andere, auf der
Muschel blasende, aber zu Füßen des Neptun auf
dem Felsen hockt. In vollen Strahlen springen die
Wasser aus dem Mund und der Muschel dieser Tri-
tonen. während zugleich der Felsen selber sich öff-
net und die Flut auch unter der Brust des Pferdes
hochspritzt. Noch einmal springen zwei kleinere
Fontänen in einigem Abstand von dieser Gruppe
aus dem Y\ asserspiegel auf, so daß sich in diesem
rauschenden Strömen der Wasser das Element
immer erneuert und die durchsichtige klare hell-
blaue Flut sich im Schaum des weißen Gischtes im
schönsten Widerschein des Lichtes, der Sonne und
der Bewegung vielfältig bricht und spiegelt. Es ist
eigentümlich, wie sich gerade die plastische Phan-
tasie in ihrem Hervorholen der Rundungen und
Kurven, der bewegten Kräfte und nie ruhenden
Formen mit der Phantasie der Wasserspiele ver-
schmilzt und im Brunnen das Figürliche wie ein
Sinnbild der im Wasser wirkenden spielerischen,
heitern und erfrischenden und wiederum drohenden
und gewaltsamen Kräfte verkörpert, daß besonders
seit der naturfreudigen Benaissance die titanischen
Heroen Herkules und Neptun in der Brunnen-
plastik immer wiederkehren. Aber ebenso liegt es
im Sinn der plastischen Arbeit, die im einzelnen
bewegte Formvielheit in die Ruhe des Ganzen
überzuführen, wie auch die Wasser sich im Spiegel
der Fläche glätten und beruhigen, ehe sie ihr Spiel
von vorne beginnen. Josef Wackerle erneuerte in
der Idee seines Brunnens die großen Uberlieferun-
gen der barocken Gartenplastik und wie sein Brun-
nen selber in einem Garten, nicht auf einem Platze
steht, konnte er der freien Bewegtheit der Formen
ungehindert folgen und trotz der monumentalen

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