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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 52.1936-1937

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Alth, Karl R. von: Neue Wege der Bühnenkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16484#0133

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stummer Eindringlichkeit den Stimmungsgehalt der
dargestellten Szenen wiedergaben.
In überaus scharfer Pointierung hob sich hierbei
die Eigenart der verschiedenen ausstellenden Län-
der voneinander ab. wobei freilich das Fehlen
Deutschlands und der Schweiz im Gesamtüberblick
eine empfindliche Lücke offen ließ. Augenfällig
drängte sich der krasse Gegensatz zwischen Ländern
konservativer und fortschrittlicher Auffassung der
Theaterkunst auf. Die Länder, in denen noch die
traditionelle Betrachtung der szenischen Kunst als
..Ausstattung11 des Bühnenstückes, also der dekora-
tiven Ausschmückung des Bühnenbildes vorherrscht,
unterscheiden sich durch das beharrliche Festhalten
am zweidimensionalen Schein malerischer Bildwir-
kung scharf von Ländern, die sich mit neuerwach-
tem Lebenssinn um eine architektonische Wirklich-
keitsgestaltung im Bühnenraume bemühen.
Das subjektivistische Frankreich mit seinen expres-
sionistischen Farbenorgien ist der Hauptvertreter
einer modernisierten dekorativen Richtung. Streng
traditionell würkt Großbritanniens Szenenkunst, die
in Bildern von sachlicher Gediegenheit ihre kühle
Reserviertheit gegenüber den Xeuerungsbestrebun-
gen des Festlandes bezeugt. Die Niederlande be-
weisen entwncklungsgeschichtlich das stete Weiter-
würken einer großen malerischen Vergangenheit.
Auch Schweden und Lettland überraschen bloß
durch eine neue Farbenpracht.

Osterreich bietet als Veranstalter in einer ebenso
prachtvollen wie reichhaltigen Schaustellung barok-
ker Theaterkunst den historischen Rahmen zu die-
ser Ausstellung. Angesichts der fühlbar gegenwarts-
nahen Schönheit des in Österreich zu glanzvoller
Blüte entfalteten Barockstiles wird es begreiflich,
daß dem Österreicher der Verzicht auf die Größe
seiner V ergangenheit in der Theaterkunst heute
noch schwer wird.

Schöpferisches Neuland hingegen betreten wir in
den Ausstellungen der Tschechoslowakei, Lngarns
und Italiens, die in durchaus verschiedenartigen
Prägungen die neue Richtung vertreten. Der Archi-
tekt, nicht mehr der Maler führt darin das Wort,
um das subjektive Geschehen der szenischen Hand-
lung in die dreidimensionale Welt räumlicher Ge-
setzmäßigkeiten einzubauen. Es gehört zum Wesen
dieser Szenenkunst, daß sie aus dem gegenwärtigen
Umweltbewußtsein heraus die äußeren Seinsgege-
benheiten als bedingende Faktoren mitwirkend zur
Darstellung bringt. Pliermit wird das barocke Vor-
stellungsbild der Bühne als gesicherter, glatter
Plattform für das Agieren menschlicher Figurinen
in seinen Grundlagen zerstört. DieBühne wird zum
Schauplatz eines Lebensausschnittes, der in der
Uberschneidung von Illusion und Wirklichkeit ein
Gleichnis unseres relativistischen Weltbildes ist.
In der instruktiven tschechoslowakischen Ausstel-
lung konnte man im Anblick zahlreicher Bühnen-

modelle der letzten zwei Jahrzehnte den großen
geistigen Lmbruch unserer Epoche sozusagen mit
der Zeitlupe in seinen einzelnen Phasen verfolgen.
Deutlich sali man hier, wie der Mensch aus der sub-
jektiven Ichbefangenheit, mit der er der Welt in
scheuem Abstand gegenüberstand, allmählich ins
volle Erleben der ihn umgebenden Welt hinaus-
tritt, um zunächst an der Leiter konstruktiver Be-
griffe und sodann aus tiefem ursächlichem Verste-
hen die Umwelt in ihren Zusammenhängen zu deu-
ten und umzuformen. Von dem sinnfällig durch
stürzende Säulen, wankende Fronten und perspek-
tivische Verrenkungen gekennzeichneten Umsturz
einer statischen Begriffswelt führt die Entwicklung
über die nüchternen Raumskelette der ,,NeuenSach-
lichkeit" zur gegenwärtigen Phase der stets proble-
matischen tschechischen Bühnenkunst: zur visuel-
len Erprobung der psvehologischen Effekte räum-
licher Tiefendimensionen.

Ins volle Oegenwartserleben stellt sich Lngarns
junge Szenenkunst. Mit glühendem Enthusiasmus
und überquellender Phantasie gibt sie sich dem
neuen Raumerlebnis hin. Sie zeichnet sich durch
das starke künstlerische Empfinden aus. mit der die
Ausdrucksmöglichkeiten der neuen Formensprache
in einer intensiven Durchdringung von Form und
Farbe voll zum Klingen gebracht sind. In svmbo-
lischer Tiefe öffnet sich hier der Raum als sakrales
Gefäß für das Hereinfluten visionärer Raum-, nein
Traumgebilde in die Sinnemvelt.
Italien präsentiert sich in einer nicht nur räumlich,
sondern auch ideell zu lückenloser Einheit geschlos-
senen Ausstellung als virtuoser Meister szenenbau-
licher Kunst. Mit scheinbarer Mühelosigkeit finden
seine Bühnenbildner zu einer erstaunlich selbst-
sicheren zeitgemäßen Ausdrucksweise, wie sie nur
aus der glücklichen Mischung von angeborenem
Theatertemperament und vererbtem Formensinn
erklärlich ist. Auch hier ist selbstverständlich das
Raumerlebnis Ausgangspunkt der szenischen Ge-
staltung, aber mit einer derartigen Unmittelbarkeit
der Gebärde, daß es schwer fällt, angesichts der
atmenden Lebendigkeit dieser Szenerien das Ge-
heimnis der Wirkung in Worte zu kleiden. Ist es
der geradezu klimatisch fühlbare Zauber italieni-
scher Landschaft, der selbst kubischen Architektu-
ren aus allen Poren dringt? Ist es die lapidare Ein-
deutigkeit, mit der die primären Gegensätze von
Masse und Luftraum zu dvnamischen Spannungen
verarbeitet sind? Sollen wir die funktionelle Klar-
heit der Gliederung, den inneren Rhythmus der
Formbewegung oder die treffliche Verteilung des
Lichts, die den Räumen Seele einhaucht, mehr be-
warndern? Auf jeden Fall sind es rein architekto-
nische Gestaltungsmittel, mit denen hier ein klassi-
scher Stilwille in der physiognomischen Formung
schicksalhafter Einmaligkeit zu absoluter Wesent-
lichkeit drängt.

Kunst f. Alle, Jahrg. 52, Heft 5, Februar 1P3T

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