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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 52.1936-1937

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Keiser, Herbert Wolfgang: Zur Cranach-Ausstellung des Deutschen Museums in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.16484#0245

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Zur Cranach-Ausstellung des Deutschen Museums in Berii n. Von Herbert Wolfgang Keiser

Über keinen ..altdeutschen" Künstler sind die An-
sichten so geteilt, über keinen ist auch so viel Unter-
schiedliches gesagt und geschrieben worden wie
über Lucas Cranach.

Das Tatsächliche gewährt jedoch ein unumstöß-
liches Gerüst: Das Leben, die Werke und ihre fest-
gelegte oder festlegbare Zeitfolge.
Das Geburtsjahr 1472 stellt Cranach d. Ä, als Ge-
nerationsgenossen, neben Dürer, den er um fast ein
Menschenalter überlebt, ferner vor allem neben
Burgkmair und Baidung.

In der großartigen Ausstellung zeigen die Staat-
lichen Museen aber außer 118 Gemälden und der
ebenso umfänglich dargebotenen Graphik des Va-
ters noch einen Überblick über das Schaffen des
Sohnes. Das gibt der diesjährigen Schau rein äußer-
lich ein ganz eigenes Gesicht. Sie spiegelt nicht nur
den Werdegang einer einzelnen Künstlerpersönlich-
keit, sondern bietet auch dem weniger Vorbereiteten
knapp und klar den stilgeschichtlichen Ablauf von
der Spätgotik bis zum Manierismus. So treten deutlich
Wesenszüge dieses Zeitabschnittes zutage, die einem
breiten Kreis der Öffentlichkeit zumindest unbe-
kannt waren. Denn — und dies ist kaum der gering-
fügigste Gewinn seit der Dresdener Ausstellung von
1899 — alle Phasen künstlerischer Entwicklung
im Werk des älteren und des jüngeren Cranach sind
gleichmäßig aneinandergereiht, die Möglichkeit ist
gegeben, das Verständnis zu vertiefen und jede Ein-
zelbeobachtung durch eingehenden "Vergleich über-
prüfen zu können.

Das zusammengetragene Lebenswerk soll über die
kulturgeschichtliche Betrachtung hinaus Anregun-
gen vermitteln und zu einer stilkritischen Würdi-
gung aller Werke führen. Man konnte deshalb nicht
bei der Vorwittenberger Tätigkeit verharren und
alles Spätere ausschließen, man hat mit Recht auch
"den Werkstattbetrieb einbezogen, der gleichlaufend
mit der Erscheinung „Massenkunst" erstmalig im
16. Jahrhundert als künstlerisches Zeitgut eine ge-
sonderte Beurteilung beansprucht. Es handelt sich
nicht um eine Umwertung von Grund auf, nicht ein
Wegnehmen auf der einen Seite und dann ein Ver-
mehren auf der anderen, sondern es wird gerade
durch das Einbeziehen Cranachs des Jüngeren viel
hinzugetan. Das Wort „Dürerzeit" hat früher mit
dem Träger dieses Namens manches zu überschatten
gedroht, die langsame Ausweitung des Begriffes hat
zwar auch Cranach im bunteren Zeitbild aufleuch-
ten lassen, aber sein Schaffen nicht als das, was es
eigentlich ist: eine Bereicherung über die Einzelper-
sönlichkeit hinaus, sozusagen „emanzipierter" Zeit-
stil", geformt durch einen Meister und dessen Werk-
statt zu allgemeingültiger Prägung.
Die Einmaligkeit der frühen Arbeiten — schon die
reifen Werke eines Dreißigjährigen — bleibt be-
stehen. Dehio hat den gewaltigen Fortschritt künst-

lerischer Gesinnung von dem frühesten uns bekann-
ten Bild, der noch etwas altertümlichen Kreuzigung
des Wiener Schottenstiftes zu der wahrscheinlich
drei Jahre später entstandenen „Schleißheimer"
(1505) und die veränderte geschichtliche Lage der
Kunst betont. Es vollzog sich damals eine grund-
legende VA endung. Die Umgestaltung ergreift alles
Thematische. Cranach hat freilich auch späterhin
noch „Andachtsbilder" gemalt, für die Bischöfe von
Eichstätt und Naumburg, für den jeden Kunstzweig
fördernden Kardinal Albrecht von Brandenburg.
Die berühmte Darstellung der „Ruhe auf der
Flucht" (1504), im Besitz des Deutschen Museums,
wird eher als Landschaftsbild empfunden, weniger
als ein religiöses Erbauungsbild. Das romantische
Geschehen in taufrischer Natur hat diesem Bilde
seit seiner Entdeckung eine unüberbietbare Volks-
tümlichkeit gesichert. Die Landschaft als Stim-
mungsträger im Sinne der ..Donauschule" — be-
gleitet die während seines Wiener Aufenthaltes ge-
malten Bildnisse.

Seit 1504 ist Cranach Hofmaler des Kurfürsten
Friedrichs des Weisen und bis zu seinem Tode 1555
mit demSchicksal dieses Hofes eng verflochten. Zahl-
lose „Sittenbilder", allegorischen und mythologi-
schen Inhalts, unzählige Bildnisse und Malerarbei-
ten jeder Art zeugen von seinem ungebrochenen
Arbeitsdrang und der vielbeschäftigten VV erkstatt.
Seine 1508 unternommene Reise nach den Nieder-
landen macht ihn in gewisser Weise mit den Italie-
nern vertraut, was sich in dem Madonnenbild
des Breslauer Domes in geistig verarbeiteter
Form und einer Klarheit der Farbigkeit absetzt, die
uns nach der vor etwa zwei Jahren erfolgten Reini-
gung neu geschenkt ist. Von den bekannten Bildern,
die ihn als „Reformationsmaler"" kennzeichnen,
fehlt kein Beispiel. Als Bildnismaler seiner Landes-
herren, der kurfürstlichen Familie und aller männ-
lichen Köpfe hält sich das malerische Können trotz
der fächerförmigen Breitenentwicklung, die unge-
ahnt anschwillt. Die Frauenakte erscheinen silhou-
ettenhaft vor den Grund geschrieben, feinnervige
Geschöpfe mit leicht schwingender Oberflächenbe-
handlung. Das zeichnerische Bildgefüge kommt da-
neben der Holzschnittproduktion zugute, weniger
den Kupferstichen, während die Handzeichnungen
meist sehr unmittelbar wirken. Die Blätter, die das
Getier der Jagdbeute zur Erinnerung festhalten,
dürfen keineswegs als fertiggemalte „Stilleben"
gelten, sie sind vielmehr durch frische Beobach-
tungsgabe sich auszeichnende Skizzen.
Neue bildkünstlerische Absichten werden bei Cra-
nach dem Jüngeren deutlich sichtbar: zwar ringt
er nicht leidenschaftlich um deren Verwirklichung^
doch versucht er mit wacher Bewußtheit für male-
rische Feinheiten gewagteste farbige Gegenüber-
stellungen. Die Form ist damals nicht mehr selbst-

991;

Kunst f. Alle, Jahrg. yi, Heft 10, Juli 1937 29
 
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