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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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Bredt, Ernst Wilhelm: Mehr Wahrheit und Persönlichkeit in Jedermanns Heim, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0050

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Seite 34.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitsc

hrift für Innen-Dekoration.

März-Heft.

Was in dem Spottgedicht und in den Hirth'schen Ideen
über Zeichenunterricht an der Zeichenunterrichtsweise der
Volksschulen, Gymnasien und besonders der Akademien
gegeisselt wird, sollte sich dies nicht im wesentlichen auch
an Kunstgewerbeschulen finden? Wer die Stuttgarter Aus-

Entwurf unter Verwendung barocker Motive von Th. Walch, Mannheim.

Abbildung Nummer 775.

Stellung 1896 besucht hat, wird zugeben müssen, dass eine
dort ausgestellte Zimmerausstattung eines »Dekorationslehrers«,
was Sinnlosigkeit anbelangte, wohl ihres gleichen suchen
dürfte. Hier heisst es: -»Titel schützt vor Thorheit nicht!«
Auch der »Nothruf« M. Kimbel's*) enthält viel für den kunst-
gewerblichen Unterricht Beachtenswerthes. Kimbel spricht
zwar den Vorlagen keineswegs die Existenzberechtigung ab,
verlangt aber billigerweise vom Lehrer, dass er mindestens
die Bedeutung und den Zweck der Vorlage verstehe und
stellt vor allen Dingen die Forderung, dass nur praktisch
erprobte Lehrer an Kunstgewerbeschulen angestellt werden
sollten. Er macht darauf aufmerksam, dass z. B. in Hamburg,
wo das Lehrpersonal aus aktiven Architekten, Tischlermeistern,
Malern etc. bestehe, die besten kunstgewerblichen Fortschritte
gemacht würden. Sehr bemerkenswerther Weise wünscht
Kimbel, dass die Lehrlinge nicht für die Fachausstellungen
Bravourstückchen liefern, sondern lieber in allgemeiner gründ-
licher Ausbildung ihr bestes Zeugniss sehen sollten. So viel
ist gewiss: nach Bravourleistungen allein kann die gesammte
Kunst eines Volkes nie richtig beurtheilt werden. Kostbare
kolossale Prunkmöbel und minutiösest ausgeführte Geräthe
und Maschinen, die womöglich in einer Nussschale Platz
finden können, hat es in allen Ländern auch zu den Zeiten
gegeben, in denen man von einer allgemeinen, hohen Blüthe
der Kunst durchaus nicht sprechen konnte. Nach solchen
Abnormitäten jemals das Können eines Volkes oder die
Gesammtleistung einer Epoche zu beurtheilen, würde eben
so falsch sein, wie die Beurtheilung der japanischen oder

*) M. Kimbel, Nothruf des Kunstgewerbes, Darmstadt 1893. (Verlag A. Koch.)

chinesischen Kunst ausschliesslich nach jenen Kolossalvasen,
wie wir sie häufig in fürstlichen Palais finden und die meist
direkt für diese gearbeitet wurden. — Wohl unbeabsichtigter
Weise standen in einer der letzten Ausstellungen in einem
Räume ein einige Zehntausend Mark kostender Speiseschrank
von mehreren Metern Höhe und Breite ganz nahe einem nur
wenige Centimeter hohen, in Elfenbein geschnitzten Spinn-
rädchen. Beide Gegenstände wurden gar sehr bewundert.
Mir waren beide Beweise dafür, dass das Wesen der Kunst
in weiteren Kreisen falsch verstanden wird, während die
Thatsache wiederum, dass Verfertiger wirklich kunstvoller
Gebrauchsgegenstände sich einfach Tischler oder Schlosser
zu nennen beginnen und nicht erst durch Zugehörigkeit zum
Kunstgewerbe ihre Leistungen zu veredeln glauben, mich
wie ein durch Wolken hervorbrechender Sonnenstrahl freudig
und hoffnungsvoll stimmte. — Unsere Jahresausstellungen
haben aber derartige Fehler grossgezogen! Künstler wie
Kunstgewerbler bemühen sich nur allzuhäufig, für die nächste
Ausstellung etwas in die Augen Fallendes zu schaffen. Bei
den Meisten ist es wohl der Kampf um die Existenz, der sie
verleitet momentane Berühmtheit zu erlangen, mag sie nun
auch in wenigen Jahren verklungen sein, wenn sie nur baaren
Verdienst bringt. In der Malerei wuchert diese Krankheit
schlimmer als man glaubt. Es wird fast nur noch auf den
»Effekt« hin in den überfüllten Oberlichtsälen der Ausstel-
lungen gemalt. Dass die Bilder zum grössten Theil doch für
das Heim des Bürgers bestimmt sein sollten, daran denken
die wenigsten. So kommt es, dass jetzt gar viele Künstler
ihren Ehrgeiz darin suchen, das Publikum durch die abson-
derlichsten Bizarrerien zu verblüffen und — abzustossen, um
dann von einer ganz kleinen Klique für ihre Unfertigkeiten
und Verrücktheiten um so höhere Märtyrerlobpreisungen und
Preise zu erhalten. Ich denke dabei oft — aber anderen
Sinnes — an des Dichters Rath: »Kannst Du nicht allen
gefallen durch deine That und dein Kunstwerk, mach es
wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm.« Ob jedoch nicht
jene behaupten, dass sie die Worte des Dichters allein richtig
verstanden haben??

Dieses bedenkliche Schaffen für die Ausstellungen wird
sich, wie ich denke, sehr bald selbst richten und mit einer
Umgestaltung unserer Ausstellungen und Museen fast un-
möglich gemacht werden. Mangel an Wahrheitsgefühl, krank-
hafter Persönlichkeitsdusel und kurzsichtiges Strebertum werden
zwar alle Zeit bestehen, aber das bessere Publikum wird sich
durch derartige andere künstlergeschäftliche Kniffe*) nicht
mehr an der Bildung eines eigenen Urtheils hindern lassen
und sich gerade bei räthselhaften »Medaillen« in den Aus-
stellungen sagen, dass diese meist alles andere, nur nicht
eine Bestätigung wirklich hoher künstlerischer Leistungen
sind — und jedenfalls keine Anweisung auf Unsterblichkeit
bedeuten.

Zur Entschuldigung sei es aber hier wiederholt gesagt,
unsere Künstler sind zu diesen Fehlern durch die Ausstellungen
und die, diesen gleichenden Museen verleitet worden. Es ist
mithin die höchste Zeit, eine Reform unserer Museen und
Ausstellungen anzustreben. Schon mehrfach sind in jüngster
Zeit derartige reformatorische Ideen in Künstlerkreisen laut
geworden, denn so wie die Museen heute aussehen, sind sie
für echte Kunst nicht vorbildlich und für eine Glanzzeit von
Kultur und Kunst undenkbar.

Das Museum muss zu einem Volksbildungsmittel edelster
und vornehmster Art erst gemacht jverden! Denn bis heute
haben leider aus den in den Museen in Reih' und Glied auf-

*) Vergl. des Verfassers Schriftchen: Zum Abbruch des Secessionsgebäudes
in München. München und Leipzig 1896.
 
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