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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 9.1898

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Schmitz, Oscar A. H.: Ueber Technik, Form und Stil, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7396#0120

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Seite 96.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Juni-Heft.

Geschrei eines brünstigen Thieres gleichen, wie es etliche
Male in dem zeitgenössischen Schriftthum erhoben worden
ist. Immerhin hat das Drama weitere Grenzen als die noch
enger an den Stoff gebundene Malerei. Darum wirken die
Historienbilder so professoral oder so schlächterhaft, darum
ist selbst der grosse Delacröix »unserer Zeit nicht mehr recht
gemäss« (wie man euphemistisch sagt). Die Schwarz- und
Weisskunst kann deshalb höhere Bewegtheit darstellen, weil
sie sich durch das Opfer der Farbe mehr von der äusseren
Wirklichkeit entfernt. Wir haben einzelne als Radirungen,
hochbedeutsame Arbeiten des Felicien Rops in Farben gesehen
und müssen zugeben, dass nichts Abscheulicheres erdacht
werden kann. Noch gebundener als die Malerei ist die

in dem Augenblick, da die zügellose Oberflächlichkeit des
Naturalismus die vornehmen Geister anwiderte und sie frei-
willig nach Mass und Beschränkung suchten, gleichzeitig
der fast verdorrte Zweig der Zierkunst, von neuem Safte
geschwellt, emporblühte. Bisweilen kamen freilich greuliche
Zwittergeburten an den Tag, indem sich die Künstler wei-
gerten, ihre Individualitäten — so sagte man damals — den
Anforderungen bindender Technik zu unterwerfen. Doch
bald merkte man, dass es einen tieferen Grund haben müsse,
wenn freiwillig zähe Techniken gewählt werden, da doch
»Naturwahrheit« durch die Malerei viel besser zu erreichen
ist und die blosse virtuosenhafte Bewältigung widerstrebender
Mittel unmöglich das Endziel des Kunstgewerbes sein könne.

Abbildung Nr. 850. Wettbewerb IV der »Deutschen Kunst und Dekoration« : Sitz-Möbel. Ein II. Preis. Albin Müller, Köln a. Rh.

Skulptur, weil sie die ganze Form der Wirklichkeit nach-
schafft. So bewundern wir Rubens, während uns der form-
verwandte Bernini nicht einmal erträglich scheint. Es ist
klar warum die Skulptur in unserer durch den Naturalismus
beein'flussten Zeit so erstaunlich weit hinter der Malerei zurück-
geblieben ist. Ein »Kunstgewerbe« ist bei naturalistischer
Voreingenommenheit der Gemüther überhaupt ausgeschlossen
(oder will man jene Möpse, Birnen und Baumstümpfe hierher-
rechnen, welche man öffnen und zur Aufbewahrung von
kleinen Gegenständen benutzen kann?).

So konnten wir in den letzten Jahren beobachten, dass

Lechter-Heft der »Deutschen Kunst und Dekoration« zugesandt. Unser Blick ver-
weilt mit besonderer Andacht auf dem Glasfenster: Tristan und Isolde. Weit davon
entfernt-, die hier aufgestellte Theorie zu stürzen, befestigt es dieselbe, indem es zeigt,
wie der Maler in geebnete — und dennoch beredte — Linien einschliessen muss,
was dem Tondichter in orgiastischen Gefühlsausbrüchen auszudrücken erlaubt ist.

Man fand wieder, dass der Zwang des Materials nicht hemme,
sondern befruchte, indem er zur Vereinfachung zwingt, zur
Knappheit, zur Ausdruckstiefe.

Aber die einfache Knappheit der modernen Dekorations-
künstler — etwa Melchior Lechters — ist eine andere als
die der Primitiven, sie haben die Werke der späten Kunst
gesehen. Gleich den Primitiven sind sie durch die technischen
Mittel zur Beschränkung der ihnen vorschwebenden Formen
gezwungen, doch siud diese Formen andere — erweiterte.
Aus dieser Beschränkung der erweiterten Naturform wird
nun nicht etwa wieder die einfache Naturform, sondern etwas
durchaus Neues, Formen, die in ihrer fast abstrakten Ein-
fachheit eine erschütternde metaphysische Sprache reden,
Formen, vor welchen es uns genügt, tief erregt zu werden;
mögen andere eine Erklärung dafür finden. (Schiuss im >ii-Hsft.)
 
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