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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

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Ebe, Georg: Das Historische Erbe der Architektur und die "Moderne", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0107

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Seite 78.

Illustr. Kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Mai-Heft.

Abbildung Nr. 1089. Wiener Rathhaus-Keller: »Das Rosen-Zimmer.« Maler Heinrich lefi.er und Architekt josef Urban in Wien.

Pas Historische Erbe per Architektur unp pie „Moperne".

Die neueste Richtung in der bildenden Kunst, die so-
genannte »Moderne«, hat unzweifelhaft auf den Gebieten
der Malerei, Plastik und Dekoration grosse und fruchtbare
Umwälzungen hervorgerufen, dagegen ist ihr Einfluss im
Fache der eigentlichen Architektur, in der Gestaltung der
Fassadensysteme und der Raumbildungen, weniger deutlich
bemerkbar geworden; und es kann sogar noch die Frage
sein, ob es überhaupt gelingen wird, im neuen Sinne eine
von der Tradition unabhängige, zugleich innerlich lebensvolle
und wahre Lösung für den Ausdruck des Architektonischen
im Geiste der Gegenwart zu finden. Eine Hauptursache der
Behinderung, welche gerade in der Architektur dem fast
leidenschaftlichen Bestreben der Neueren nach der Bethätigung
einer frei erfindenden Kunstfantasie entgegentritt, ist wohl
das sich unablässig mit Macht aufdrängende Gebundensein
an das »historische Erbe«, an die gesetzmässig in der Folge
der früheren Jahrhunderte entwickelten Bautypen. Es lohnt
wohl der Mühe, zu untersuchen, ob nicht dennoch eine Ver-
söhnung zwischen den beiden feindlichen Gegensätzen, einmal
der Nachfolge auf dem Wege der historischen Tradition, dann
dem gänzlich unabhängigen, einem neuen Ideenkreise unter-
worfenen Schaffen, möglich sein durfte; umsomehr, als that-
sächlich ein ähnliches Verhältniss in den älteren Epochen der
Kunst nachgewiesen werden kann, wo nur das künstlerische
Gefühl für das piü pöco — piü meno in der Mischung des
Alten und des Neuen das einzig richtige Maass getroffen hat.

Aber das historische Erbe selbst, der Bestand der unserer
Kenntniss überlieferten Denkmäler, zeigt sich uns von zwei
ganz verschiedenen Seiten, einmal in der Strahlenglorie einer
geheiligten geschichtlichen Vergangenheit, erhaben über jede

Kritik, dann in dem nüchternen Lichte der verständigen
Schätzung, welche die Sprossen einer Leiter sucht, auf der
sich das Können mühevoll aus den Kindheitszuständen heraus
zu einer immer zunehmenden Freiheit emporgehoben hat,
doch so, dass nun die ersten Stufen für den heutigen Stand-
punkt nicht weiter in Betracht zu ziehen sind. Diese grund-
verschiedenen Auffassungen der Kunst des Alterthums sind
beide berechtigt, und jede übt ihre besondere Wirkung aus;
die erste indem sie uns zur unbedingten Bewunderung des
Höchsten und Edelsten aufruft, das je der Menschengeist
hervorgebracht hat, die zweite indem sie uns zu einer kalten
Abwägung des Werthes des früher Geleisteten im Verhältnisse
zu den rastlos fortschreitenden Erfindungen des modernen
Lebens zurückbringt.

Jedenfalls müssen wir zugeben, dass die heutige Welt
den ganzen Inbegriff dessen, was Kunst genannt wird, allein
den Arbeiten der Alten verdankt; und durch diese Erkennt-
niss gewinnt der poetische Traum von einer ehemals vor-
handenen hohen, kaum jemals wieder zu erreichenden Schön-
heit eine gewisse Realität. Auch stehen noch immer die
Trümmer der alten Herrlichkeit, die mehr oder weniger
erhaltenen Denkmäler, in greifbarer Wirklichkeit vor unseren
Augen, gewaltige Tempel, Theater, Bäder, Amphitheater,
Basiliken, Paläste und Grabmäler, und laden sowohl die
Fantasie ein, sie mit alter Pracht zu bekleiden, wie den
sinnenden Geist, sich in ihre labyrinthischen, in Stein gehauenen
Räthsel zu versenken. Schon die ideale Erhabenheit ihrer
zwecklichen Bestimmung scheint eine grössere Anzahl der
alten Baudenkmäler über alle Leistungen der Jetztzeit zu
stellen. In diesem Sinne können wir es sogar verzeihen,
 
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