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Kunst- und Unterhaltungsblatt für Stadt und Land — 1.1852

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Horn, W. O. v.: Im Walde
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https://doi.org/10.11588/diglit.45111#0097
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Im Walde.
Erinnerungen aus dem Leben eines Forst-Eleven.
Von W. O. u. Horn.

I.
Winterabende, so lang gedehnt und stille, sind
die Zeit der Gemächlichkeit, wenn man nämlich be-
haglich am warmen Ofen sitzt, etwa in einem be-
quemen Sessel, und eine gute Pfeife raucht. Je
mehr es draußen stürmt und schneit, oder je Heller
die Sterne am tiefdunkeln Himmel flimmern und
die Eisblumen sich an den Fensterscheiben ansctzcn,
desto mehr Behagen fühlt man.
Das hab' ich oft erfahren, wenn ich Abends
bei meinem Freunde, dem Oberförster, saß und wir
uns die Erlebnisse unserer früheren Tage erzählten.
Einen köstlichern Erzähler, als den alten Ober-
förster Luckow gab's nicht. Man wurde gar nicht
müde, ihm zuzuhören, besonders wenn man dabei
wahrnahm, wie seine großen Augen leuchteten und
die dicken Augenbrauen sich hoben und senkten und
wie sich jedwede Empfindung auf seinem wetter-
harten, tiefdurchfurchten Gesichte abspiegelte. Das
kam so recht inwendig heraus.
Eines Abends kam auf seine Jugendzeit die
Rede. Ich bat ihn, mir auch aus dieser Periode
seines Lebens Episoden mitzutheilen.
Nach einigem Nachsinnen sagte er: Ja, lieber
Freund, das will ich, und das Erste, was mir ein-
fällt, mag diesen Abend ausfüllen.
Du weißt, hob er an, Thüringen, das schöne
Land der Berge und Wälder, ist meine Hcimath.
Mein Vater war Justizbeamter in einem Herr- '
fchaftlichen Städtchen, Patrimonialrichter und der- !
gleichen. Ein schlichter, derber, aber wahrhaft from- !
mer Mann war er, was man sonst in dieser Zunft
nicht findet, die Luther am besten charaktcrisirt hat
in dem bekannten Sprüchlein: „Juristen — schlechte
Christen," das ich auch alle Wege wahr gefunden habe.
In der lateinischen Schule des Städtchens fand
ich meine Vorbildung bei einem bezopften Rector,
der mich weidlich abbläute und mit der Grammatik
quälte; dann brachte mich mein Vater nach Erfurt,
wo's noch bunter ging, und mich diese lateinischen
Schulmeister mit ihrer zunftmäßigen Pedanterie und !
Nörgelei schier zu Tode quälten. Endlich schlug !

dem vielgeprüften Primaner die Stunde der Er-
lösung und meine Seele jubelte.
Die blauen Berge mit ihrem Dufte lachten mir
entgegen, und die Freiheit und das frische Wald-
leben und Hcrumschweifen, ich sage Dir, alle Thore
der Lust und Freude thaten sich vor mir auf.
Mein Vater hatte einen Jugendfreund, der im
Thüringer Walde Oberförster war. Zu dem sollte
ich kommen, damit ich den Dienst von der Pike an
lernte. Dann sollte ich nach Dreißigacker gehen,
um mich wissenschaftlich durchzubildeu. Mein Vater
brachte mich selbst zu dem Oberförster, einem äußerst
lieben Manne, der mich aufnahm wie ein Vater
seinen Sohn.
Nun sollst Du aber ein Prachtexemplar von
einem Förster kennen lernen, sagte er meinem Vater.
Bei ihm wird Dein Sohn in eine praktische
Schule gehen, wie cs keine zweite in der Welt gibt,
und ich sage Dir, der Mensch, rein wie eine Jung-
frau, treu wie Gold, und ein Forstmann, der mir
schon manchen Eleven hcrangcbildet hat, daß mir
das Herz im Leibe lachte.
Fritz! rief er dem Jägerburschcn, bitte Herrn
Gerhard, daß er den Abend mit mir esse! —
Das Forsthaus, das muß ich Dir vorher sagen,
lag mitten im Gebirge, tief im dunkeln Walde.
Es wohnte nur noch der Pächter der Dienstlände-
reien des Oberförsters da und der Förster Gerhard.
So bestand der ganze Ort, Hochforst genannt, aus
drei Häusern, Scheunen, Remisen und ähnlichen
Räumen, und die Welt mit ihrem Geräusche und
citeln Treiben lag meilenweit rechts und links ab.
Bald nachdem ihn Fritz geladen, trat Gerhard
ein. Es war ein stattlicher Mann von etwa siebzig
Jahren, rauh wie die Rinde einer alten Birke, stäm-
mig und breitschultrig wie ein Athlete, bebartet wie
ein Wilder, und besonders durch einen Schnurrbart
ausgezeichnet, dessen Länge zu beiden Seiten der
Mundwinkel bis auf die Brust reichte. Haupthaar
und Bart waren schneeweiß. Und der Alte, sage
ich Dir, war ein schöner Greis, wie ich kaum einen
schönern gesehen habe. Wie wild auch der Mann
 
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