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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Die bildenden Künste auf der Antwerpener Ausstellung, [2]
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Die bildenden Künste auf der Antwerpener Ausstellung.

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Plan erschienen, dass es schwer zu entscheiden wäre,
ob die Belgier, die, wie zu erwarten war, eine äußerst
tüchtige Kollektion zusammen brachten, ihnen tiber-
legen sind. Vergleiche sind überhaupt vom Übel
und man lässt sie besser fort. Man soll die Kunst
nehmen, wie sie sich giebt und nicht immer fragen:
„Sind diese oder jene besser?" Je bescheidener und
respektvoller, um so besser können wir einem Kunst-
werke gegenübertreten und eine um so größere Chance
haben wir, ihm gerecht zu werden. „Wenn „lhr's
nicht fühlt, Ihr werdet's nicht erjagen". —

Ein malerisches Volk sind die Viaamen immer
gewesen und was ihrem Rubens Lust und Kraft gab,
das thut's auch heute noch. Sie schwelgen in Farbe
und Wärme und sind an Reichtum der Phantasie
und vielseitigem Kompositionstalent den holländi-
schen Nachbarn weit überlegen. Sie haben hier so
ziemlich alles zusammengebracht, was in neuerer Zeit
Bedeutendes unter ihnen hervorgebracht worden, und
das ist nicht wenig. Wenn man Namen wie Albrecht
de Vriendt, Ed gar d Farasyn, Jean G. Basier, Jean
Bortaels, Karel Ooms, Oerard Fortielje, Herman Bichir,
Hendrik Sohaefels, Franz Seghers, Alfred Stevens,
Gustave Vanaise, Frans van Leemputten, Jan Verhas,
Franz Courtens, Adrian Heymans, Jan Slobbaerts und
Henry Luyten liest, so weiß man ungefähr, was das
bedeutet. Der letzte ist ein kraftstrotzendes Talent
von unbegrenzter Schaffenslust, ein Oharakteristiker
und Beobachter von tiefem Ernst und machtvollem
Pinselstrich. Sein „Struggle for life" ist mit der
ersten Medaille ausgezeichnet. Es stellt den Strike der
Grubenarbeiter dar, die nach Brot schreien. Solche
Werke wollen nicht beschrieben, sondern gesehen
sein. Daneben hängt seine geniale Porträt-Samm-
lung der Mitglieder des jungen Künstler-Clubs „Als
Jk Kan", die eine ziemlich lebhafte Sitzung abzu-
halten scheinen. Hierin und in dem Fischerbilde
„le quart d'heure de repos" erinnert er an Ähnliches
von dem Dänen K royer. Eine junge Fischerfrau,
die am Fenster sitzend ihren Gatten erwartet, der
draußen den Sturm auf See zu bestehen hat, nun
aber, da das Wetter vorüber, heimkehren muss, ist
voll psychologischer Vertiefung im Ausdruck, in
jener breiten Wahrheit hingesetzt, die sofort die
Frage „Ob er wiederkommen wird" zum Bewusst-
sein des Beschauers bringt. Da ist nichts Weich-
liches, Sentimentales, alles kräftiges, gesundes Men-
schentum. Ein Maler, der sich in den Fusstapfen
von Antoine Wiertz bewegt und Rubens studirt
hat, ist Alfred Cluysenaar, mit seinen „Quatre cava-
liers de l'Apocalypse." Außerdem hat ihm eine

virtuos gemalte „Etüde de nu" (verkürzter weiblicher
Akt) eine I. Medaille eingebracht. Julian de Vriendt's
„Chant de Noel" oder, wie es auf vlämisch heisst
„Kerstlied", ist eine von tiefer Innigkeit und Größe
getragene Schöpfung, vor der man staunend steht
ob dieser Einfachheit und Schlichtheit, und die man
verlässt mit dem Eindruck, dass man für den Augen-
blick nichts anderes sehen möchte. Ihm reiht sich
wenigstens an Innerlichkeit und Einfachheit Theophil
Lybaert, der „Memling des 19. Jahrhunderts" an
in seinem „Yierge et l'Enfant" und „Sancta Mater
dolorosa"; auch in der Plastik hat er sich versucht
und bringt eine ganz vom selben Geist getragene
Büste von bronzirtem Gips „la priere". Der Haupt-
zug darin ist eine Verbindung von Formenstrenge
mit großem Liebreiz.

Ein geradezu fabelhaftes Können entwickelt
Jean Bosier in seinen Porträts und den Genrestücken
„Chez mon ami Dupon" und „Un Sculpteur". Daneben
hängt das größere Historienbild: „Charles I. appre-
nant la defaite de Marston Moor"; es dürfte kaum
möglich sein eine so völlige Beherrschung aller
Mittel der Malerei noch zu übertreffen. Von Alfred
Stevens ist das Bedeutendste „La mendicite toleree",
ein Genrebild von tiefem Ernst. An feinem Ge-
schmack und koloristischer Pracht und Vornehmheit
übertrifft wohl kaum ein Bild der Ausstellung das
entzückende Atelier-Interieur mit den jungen Künst-
lerinnen, welche etwas von dem unvergleichlichen
Chic der Pariserinnen mit der süßen Melancholie
Duran'scher Frauen verbinden. Links auf dem Sofa
liegt eine der Freundinnen drapirt ä la Cleopatra,
während die beiden andern das angefangene Werk
auf der Leinwand kritisch betrachten. Bomain Steppe's
große Leinwand, einen anrückenden Sturm auf dem
Meere darstellend, vom König der Belgier übrigens
angekauft, ist ein recht schwaches Machwerk; viel
feiner ist die kleinere Landschaft „Lever de lune, soir
de fevrier sur l'Escaut". In der Landschaft treten
die Belgier überhaupt sehr tüchtig auf, so de Scham-
pheleer, der talentvolle impressionistische Franz Hens,
Farasyn und andere. Ein sehr duftiges Bild ist der
weibliche Rücken-Akt im Bildhauer-Atelier von Jo-
seph Horenbaut. Auch im Tierstück leisten die
Brüsseler Tüchtiges; so der sehr koloristische, tech-
nisch gute und lebendig aufgefasste „Hahnenkampf".
Sehr breit und impressionistisch arbeitet auch Alfred
Verhaeren in seinen Interieurs und Skizzen, während
Gamille Wolles sich in seinen Weiden mit Kühen
stark an Willem Maris anlehnt. Die Bildhauer sind
in voller Rüstung angetreten und nehmen es mit den
 
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