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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0032

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Die Ausstellung alter Bilder in Utrecht.

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schaft stets bleibenden Wert behalten wird. Die
Lebensbeschreibungen einer größeren Anzahl von
Künstlern der Utrechter Schule, die bisher selbst
dem Namen nach kaum bekannt waren, vermehren
unser wissenschaftliches Material in erfreulichster
Weise. Die Beschreibungen sind korrekt und an-
gesichts der kurzen Vorbereitungszeit von über-
raschender Vollständigkeit. Die Signaturen, soweit
ich sie nachprüfen konnte, sind mit ganz unwesent-
lichen Ausnahmen, richtig und in genügender Form
wiedergegeben. Format und typische Ausstattung
sind vornehm und praktisch zugleich. Auch wer
sich versagen muss, der Ausstellung ein paar Tage
zu widmen, darf es nicht versäumen, den Katalog
seinen wissenschaftlichen Hilfsmitteln einzuverleiben.
Wenn der praktische Holländer ein so ideales Er-
zeugnis mit roten Geschäftsreklamen durchschießt,
so wollen wir ihm das zu gut halten, so wenig es
unserem Empfinden entspricht.

Aber auch hier findet das Lob seine Grenze.
Die Ausstellung ist unter Zuziehung eines für den
Zweck geräumten Saals des „Museums Konstliefde" in
drei weiteren Räumen desselben Stockwerks unter-
gebracht, die sich für die Aufnahme einer so großen
Menge alter Bilder nur wenig geeignet erweisen.
In schwindelnder Höhe und unter den Knieen reiht
sich Bild an Bild, und mancher Einsender dürfte ein
saures Gesicht machen, wenn er nach langem Suchen
seinen Liebling in statu relegationis wiederfindet.
War es nun die notwendige Folge dieser ungünstigen
Bedingungen, oder fehlte es an einer geeigneten
künstlerischen Kraft, von dem Versuch, die Masse
der Bilder nach ästhetischen Gesichtspunkten zu
gruppiren, ist gar nicht die Rede. Der Zufall waltet
wie in den Räumen eines Kunsthändlers, der sich
vor seinen Ladenhütern nicht mehr zu lassen weiß.
Und das ist im Interesse der Sache sehr zu bedauern,
denn auch die besseren Elemente des reisenden
Publikums wollen bei solchen Gelegenheiten künst-
lerisch angeregt sein und verlieren die Geduld, wenn
sie sich aus eigener Kraft den Pfad finden sollen.
Mag die Düsseldorfer Ausstellung von 18S(> in
manchem Betracht von ihren Nachfolgern überholt
worden sein, ein Ruh in bleibt ihr — Dank der Kunst-
halle und der Mitwirkung Oeder's, eines in Dingen
des Geschmackes goldsichern Künstlers — der Auf-
gabe eine ästhetische Lösung ersten Ranges ab-
gewonnen zu haben.

Was bei derlei Veranstaltungen, wie ich aus
eigener Erfahrung am besten bestätigen kann, nur
schwer umgangen wird, die Prätention einiger phan-

tasievoller Bilderbesitzer, hat auch hier Spuren hinter-
lassen, und insbesondere spitzt sich der Streit um
einen Rembrandt, der vor den Augen der beteiligten
Sachverständigen und namentlich bei A. Bredius
keine Gnade gefunden hat, zu einem gedruckten An-
griff gegen letzteren zu. Ich komme am Schluss
auf diese unerfreuliche Erscheinung zurück und
wende mich den Bildern zu.

Jan van Scorel, der bedeutendste Meister der
Utrechter Schule — ich weiß sehr wohl, dass diese
Bezeichnung ihr Schiefes hat — ein Künstler, dessen
ästhetische Würdigung im Laufe der Jahre noch
manches gewinnen wird, hat in dieser Ausstellung
eine zum mindesten sehr fesselnde Vertretung gefunden.

Ein Triptychon, das sich bis zum Jahre 1556 in
der Nieuwe Kerk zu Delft und später im St. Anna-
hof je zu Leiden befand, jetzt im Besitz von M. B.
Wezelaar zu Haarlem (No. 193), reiht sich den bessern
und wichtigen Arbeiten des Meisters würdig an. Im
Mittelbilde erscheint Christus der Magdalena als
Gärtner. Auf den Flügeln je fünf knieende Männer
und fünf knieende Frauen. Haftet dem Künstler
nach seinem Aufenthalt in Italien auch jene Doppel-
physiognomie an, die uns eine große Anzahl seiner
schwächer begabten Zeitgenossen und unmittelbaren
Nachfolger ungenießbar erscheinen lässt, so zeigt er
doch von seinem starken Ich stets noch soviel, dass
selbst seine zwitterhaften Gestalten auf dem Grunde
einer südlich glühenden, mit originellster Natur-
poesie getränkten Landschaft uns Interesse abge-
winnen. Und im Bildnis ist und bleibt er ein
Meister ersten Ranges. Das überaus kräftige und
ursprüngliche Porträt des Erasmus (No. 190, Orts
van Schonauwen, Arnhein) bezeichnet der Katalog
als Kopie nach Holbein. Haben die Herren Recht,
wovon ich nicht überzeugt bin, so ist in dieser Kopie
ein ganz eigenartiges und selbständiges Kunstwerk
zur Neugeburt gelangt. Auch eine Kreuzigung mit
Flügeln aus dem Besitz von B. H. Klönne in Amster-
dam (No. 192), die auf dem Rahmen den. alten Ver-
merk trägt: „Geborge ten tyde der Beeldenstormery
uit de St. Nicolaas bygenaamd de Oude Kerk binnen
Amsteldam. Deo Gratias", ist ein überaus fesselndes
Werk von großer Stärke des Ausdrucks. Dass dieses
Bild schon den Zeitgenossen besonders wert war,
beweist eine vergrößerte Kopie (No. 194, Bischöfl.
Museum zu Haarlem), die der Katalog dem Atelier
des Meisters zuweist. Die Bezeichnung „bijna dezelfde
compositie" scheint mir nicht zutreffend. Die Ab-
weichungen sind verschwindend und treffen nichts
Wesentliches.
 
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