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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Ehrenberg, Hermann: Die Wiederherstellung des Hochschlosses der Deutsch-Ordensritter zu Marienburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0122

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zu dem Kapitelsaal gelangen, der mit der Kirche
den Nordflügel des Schlosses einnimmt. Die wunder-
bare Raumwirkung dieses aus einem Schutthaufen
neu erstandenen feierlichen Beratungsraumes, welche
ich früher geschildert habe, wird jetzt noch gesteigert
durch die feinabgestimmten Glasgemälde, welche
Meister Haselberger in Leipzig gefertigt hat. Ihr
silbergrauer Grundton, von welchem sich die Wappen
vortrefflich abheben, lässt genug Licht herein und
ist doch von raumabschließender Natur. Die Wände
sollen durch Professor Schaper in Hannover mit
den Gestalten der Hochmeister geschmückt werden;
eine reiche architektonische Umrahmung und be-
deutungsvolle Sprüche, welche Steinbrecht aus der
mittelhochdeutschen Reimchronik des Nicolaus von
Jeroschin mit großem Geschick zusammengestellt
hat, sollen zur weiteren Belebung beitragen. Einst-
weilen ist von diesen Malereien noch wenig fertig;
es kostet für einen Künstler Uberwindung, sich in
den alten Geist zu versenken und an der Hand der
geringen Spuren der früheren Bemalung die ritter-
lichen Erscheinungen der großen Fürsten neu er-
stehen zu lassen. Der Bildhauer dagegen, Herr Pro-
fessor Behrendt in Berlin, hat sein Werk bereits
beenden können und damit den Beweis geliefert, wie
tief er in den unserem heutigen Denken so fern
liegenden gotischen Stil sich versenkt hat; die Kapi-
tale der Pfeiler hat er mit Symbolisirungen der
Ordensgelübde und die Schlusssteine des Gewölbes
mit knapp gehaltenen Darstellungen aus dem Leben
des Ritters von seinem Eintritt in den Orden bis
zu seinem Begräbnisse verziert. In der anstoßenden
Kirche, welche man vom Kreuzgang aus durch die
neuvergoldete „Goldene Pforte" betritt, sind die Ar-
beiten so gut wie völlig fertiggestellt. Ein warmer,
buntfarbiger Ton durchdringt den ganzen Raum.
Die Wände sind vom Maler Grimmer mit Orna-
menten und Heiligen bemalt, die freigebliebenen
Stellen werden mit kirchlichen Bildwerken aus der
Ordenszeit ausgefüllt. Ringsum wird ein Chorgestühl
laufen, welches von Schmitz in Köln aus Eichen-
holz geschnitzt und ganz einzigartig von dem künst-
lerischen Geiste des späteren Mittelalters durchtränkt
ist. Schmitz, ein, wie ich höre, etwas weltabgeschie-
dener Mann, beherrscht in wunderbarer Sicherheit
sein Werkzeug; Ernst und Scherz gelingen ihm gleich
vorzüglich, die hoheitsvollen Figuren an den Brüstun-
gen wetteifern an Originalität mit den humoristischen
Tierscenen in verborgenen Ecken. Überall eine
schöne, kräftige Modellirung, nirgends sentimentale
Weichlichkeit! Die Glasfenster, welche nur zum

geringsten Teil noch erhalten waren, sind ergänzt
worden durch einige glückliche Ankäufe aus dem
benachbarten Städtchen Culm und durch einige aus-
gezeichnete Schöpfungen Haselberger's, bei welchen
Grisaille-Teppichmuster mit den Wappen der preußi-
schen Ordenskomtureien abwechseln.

Sind wir auf den Kreuzgang zurückgekehrt, so
gelangen wir bald in den Ostflügel mit seinem rie-
sigen Schlafsaal, unter welchem im Erdgeschoss und
Keller große, durch mächtige Tonnen (mit kräftigen
Stichkappen) eingewölbte Vorratsräume liegen, und
weiter in den Südflügel. In diesem fesseln uns vor-
nehmlich die etwas höher gelegenen beiden Säle,
welche für den frohen Lebensgenuss der Ritter be-
stimmt waren und welche wir auf einer von Schmitz
gleichfalls wundervoll geschnitzten Wendeltreppe
erreichen. Der eine Saal, an der Südostecke gelegen,
wird von drei Pfeilern getragen und war etwa das,
was wir in einem modernen Hotel den Konversations-
raum nennen würden. An den Wänden ziehen sich
ringsum Bänke, auf der Nordseite ist etwa in %
Höhe eine kleine Bühne für Sänger und Saiten-
spieler angebracht, an den Fenstern eröffnen tiefe
Nischen bequemen Ausblick in die fruchtbaren Felder
und Wiesen der Landschaft. Die Decken sind mit
Wappen ausgemalt, und in den Schildbögen feiern
die Relieffiguren aus dem Dollingerhaus in Regens-
burg, streitende Ritter zu Ross, ihre Auferstehung;
dort waren sie ja vor mehreren Jahren durch un-
vorsichtige Behandlung in Stücke gefallen und zer-
stört worden, Steinbrecht hatte sie mit Aufwendung
beträchtlicher Mittel abgießen lassen und sie gleich-
sam zu neuem Leben erweckt; der Eindruck, den
sie hier ausüben, ist von unvergleichlicher Wirkung,
und es gehört zu den glücklichsten Gedanken des
erfindungsreichen Schlossbaumeisters, einige der her-
vorragendsten und merkwürdigsten Erzeugnisse
mittelalterlicher Profanskulptur auf diese Weise ge-
rettet zu haben. — Der andere Saal ist ebenfalls
zweischiffig und wird von sieben Pfeilern getragen;
es war der Speiseraum der Konventsritter, in welchem
auch jetzt die allerhöchsten und höchsten Herr-
schaften die Festmahle einnehmen werden. Der
Westflügel endlich birgt die Wohnungen des Groß-
komturs und des Tresslers (d. i. des Finanzministers
des Ordens) in sich, während in seinem Keller sich
die geräumige Küche mit dem mächtigen Kamin
befindet.

Eine Schilderung all dieser Gebäudeteile bis in
jede Einzelheit und eine Beschreibung der zahllosen
Nebenräume würde an dieser Stelle ermüden. Ich
 
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