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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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439

Kunstblätter.

440

Bedürfnis das künstlerisch so bewegte Treiben der Gegen- I
wart mit wärmster Teilnahme und, wie er es sich nun ein-
mal angewöhnt hat, mit ausgiebiger Gründlichkeit. Die
Wirkung dieser lebendigen Teilnahme blieb auch nicht aus:
die Kunst der Gegenwart befruchtete den Philosophen, und
der dankbare Philosoph trägt sehr viel dazu bei, das Urteil
über diese Kunst in die rechte Bahn zu lenken. Darin be-
steht, um es sofort und in aller Kürze zu sagen, der un-
gewöhnliche Wert der „Ästhetischen Zeitfragen" von Johannes
Volkelt. Er überschaut die ganze Produktion der Zeit im
Reiche der bildenden und redenden Künste, auch die Musik
ist ihm nicht fremd, er kennt Richard Wagner in seinen
Lehren und Werken und bekennt sich vielfach zu ihm. Und
mit dieser ganzen Kunstwelt setzt sich Volkelt auseinander,
er untersucht ihre Theorien und beurteilt ihre Praxis. Da-
bei ist es ihm vor allem darum zu thun, die Beschaffenheit
der modernen Kunst aus der Zeit und aus der Individualität
der einzelnen Künstler zu begreifen und begreiflich zu
machen: vorerst zu verstehen, sodann zu urteilen. Diese
Methode macht den eigentlichen Reiz und den besonderen
Wert seiner Vorträge aus. Volkelt fasst alle herrschenden
Ideen zusammen und hat die nicht häufige philosophische
Kraft, sie einander über- und unterzuordnen. Vor nichts
hütet er sich so sehr, wie vor der Gefahr der Einseitigkeit
oder des Doktrinarismus, und dieses Streben nach möglichster
Unbefangenheit ist auch einer der Grundpfeiler seiner Ästhetik.
Er mag nicht die rückgratlose Anempfindsamkeit jener
Historiker, die sich damit begnügen, zu erklären, wie Kunst-
werke und Stile entstanden sind, ohne aber sie nach einem
höheren, über dem Wandel des Zeitgeschmacks stehenden
Gesetze abschätzen zu wollen, und er liebt auch nicht die
Beschränktheit der Parteimänner, die alles über die Klinge
springen lassen, was in ihr System nicht passt. Er will in
Wahrheit Philosoph, Weltweiser sein. Volkelt fühlt sich
einig mit der Gegenwart im Gefühl ihres Bedürfnisses nach
einem ihr ganz entsprechenden eigenen künstlerischen Stil.
Er weist die Entstehung und Berechtigung dieses Bedürf-
nisses aus den vielfachen Veränderungen nach, welche das
moderne Leben durch die politischen Wandlungen, durch
die Verbreitung der technischen Errungenschaften und durch
die intimeren seelischen Vorgänge infolge des Durchgreifens
der naturwissenschaftlichen Ideen und Betrachtungsweisen
erfahren hat. Er steht auch gar nicht an, anzuerkennen,
dass insbesondere die Malerei durch die neuen Richtungen
wesentliche Förderung erhalten hat: der Zauber von Licht,
Luft und Farbe bei den großen modernen Meistern hat auch
den Philosophen umfangen, und er sagt geradezu: hier hat
die Ästhetik etwas Neues zu lernen. Viel reservirter ver-
hält er sich zu den Werken der modernen Litteratur. So
berechtigt er viele ihrer Intentionen hält, so selten kann er
der Ausgestaltung dieser Tendenzen im einzelnen Fall zu-
stimmen. Die Urteile Volkelts sind stets interessant und
Ausdruck einer die Kunst original fühlenden Persönlichkeit.
Wir müssen hier auf das Buch verweisen, da uns Citate zu
weit führen. Nur soviel wollen wir noch hinzufügen, dass
Volkelt die Berechtigung und Notwendigkeit einer Ästhetik
als philosophischer und, wie er es nennt, normativer Wissen-
schaft im Gegensatze zur herrschenden Strömung, die sie
leugnet, überzeugend nachweist. So wenig man einer Logik
und Erkenntnistheorie, so wenig könne man einer Lehre
von den Gesetzen und Forderungen der Phantasie und des
Gefühls entbehren. Jene Kunsthistoriker, die wie Richard
Muther, die Ästhetik in die analytische Beschreibung der
Kunstwerke ohne Wertabschätzung auflösen möchten, denken
nicht klar; denn auch sie tragen eine Ästhetik in sich, nur

nicht ausgesprochen als System, sondern bloß im Gefühl
ihrer künstlerischen Persönlichkeit, — aber eben ihrer
„künstlerischen" Persönlichkeit! In diesem „künstlerisch"
liegt ein ganzer Knäuel von Begriffen und die wissenschaft-
liche Aufgabe, welche die Gegner der normativen Ästhetik
leugnen. Volkelt weist nach, dass es unmöglich ist, Kunst-
werke auch nur zu beschreiben, ohne sie zu beurteilen. Aber
Volkelt fordert von der Ästhetik, dass sie die alten Fehler
vermeide: sie soll von der Erfahrung, von der psychologischen
Analyse ausgehen und von da aus zu den höchsten Ideen
aufsteigen, nicht aber mit der Metaphysik beginnen. Und
ferner führt Volkelt den Begriff der ästhetischen Antinomien
in die Wissenschaft ein, der zur Anerkennung relativer
künstlerischer Werte führen soll. Die Erkenntnisse der
Kunstgeschichte und ihres Individualismus verwertet Volkelt
für die philosophische Ästhetik: und damit führt er sie einen
großen Schritt weiter. Dies ist die bedeutsamste Eigenschaft
seiner „Ästhetischen Zeitfragen". m. necker.

KUNSTBLÄTTER.

* Die Kgl. Gemäldegalerie zu Dresden. Von diesem Pracht-
werke, das (mit Text von Hermann Lücke) im Verlage von
Franz Hanfstängl in München erscheint, sind kürzlich die Lie-
ferungen 2, 3 u. 4 ausgegeben worden. Das ganze Werk soll
zehn solcher Lieferungen umfassen und im Ganzen 100 Voll-
bilder nach den Meisterwerken der Galerie in Heliogravüre
und noch etwa 50 kleinere, in gleicher Technik hergestellt,
bringen. Die überaus klaren und feintönigen Gravüren des
Verlags sind mit größter Sorgfalt gedruckt. Der Lücke'sche
Text bestrebt sich, nicht nur die einzelnen Werke der Gale-
rie kritisch zu würdigen, er bildet ein förmliches kunst-
historisches Repetitorium für den Leser, in knapper und über-
sichtlicher Form das Wissenswerteste über die Meister der
Dresdener Sammlung rekapitulirend. Sein reiches kunstge-
schichtliches Wissen macht den Verfasser für diese Aufgabe
besonders geeignet. Unter den Vollbildern der letzten drei
Hefte dieses Prachtwerkes seien besonders hervorgehoben:
Tizian: „Madonna mit dem Kinde und vier Heiligen", „Der
Zinsgroschen", die „Venus mit dem Lautenspieler" und etliche
Porträts; von Palma Vecchio eine Madonna und eine „Ruhende
Venus", Paolo Veronese's „Hochzeit zu Cana", Correggio's
„Heilige Nacht", Guido Reni's bekannter Christuskopf und
„Venus", Caravaggio's „Falschspieler", Batoni's „Büßende
Magdalena", einige Canaletto's, „Das Triptychon" von van
Eyck, der Dresdener Altar von Dürer, ein Bildnis von Hol-
bein und die Darmstädter Madonna.

* Aufnahmen nach Gemälden in der Bruckenthal'sehen
Galerie zu Hermannstadt. Die Firma Ludivig Michaelis in
Hermannstadt versendete vor kurzem die ersten sechs photo-
graphischen Aufnahmen, die im Atelier Auerlich hergestellt
sind und ein erfreuliches Anzeichen des Kunstsinnes in der
malerischen siebenbürgischen Stadt bilden. Unter den bis-
her angefertigten Photographien heben wir hervor: das von
Frimmel aufgefundene Bildnis von Jan van Eyck, den Hiero-
nymus des Lorenxo Lotto und die ebenfalls durch Frimmel
bestimmten Miniaturen von Frans Boels. Es wäre zu
wünschen, dass der schöne Anfang eine entsprechende Fort-
setzung fände und dass auch die beiden Memlings sowie
manche andere gute Bilder der Bruckenthal'schen Galerie in
ebenso gelungenen Aufnahmen der Kunstgeschichte dienstbar
würden, wie die sechs ersten Blätter. Der Preis wurde auf
1 Mk. 50 Pf. für die aufgezogenen und auf 1 Mk. für die
unaufgezogenen festgestellt.
 
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