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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Schölermann, Wilhelm: Die Münchener Jahresausstellung im Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0248

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483

Die Münchener Jahresausstellung im Olaspalast.

484

schnitten! Ein Kompromiss, ein Höflichkeitsaustausch
hat zwischen Osten und Westen stattgefunden.

In unserer einheimischen Kunst verschwindet das
sociale Elendsbild allmählich ganz von der Bildfläche.
In einem Falle ist es mir noch aufgefallen, hier aher so
eindrucksvoll und gut gemalt, dass man in dieser Form
seine Berechtigung anerkennen muss. Es weicht doch
das tendenziöse Element vor dem rein künstlerischen
Was zur Satire an der naturalistischen Eichtung heraus-
forderte, war nur die Tendenz und die maßlose Ein-
seitigkeit, die sie einleitete und zu dem lächerlichsten
Hexensabbath führte. Heute giebt es zum Glück keine
alleinseligmachende Malerei mehr. Man schlägt sich
wegen einer technischen Frage nicht den Schädel ein,
weil man anders fühlt und sieht als der Nachbar. Die
Erscheinungen der Übergangszeit verschwinden mehr und
mehr und an ihre Stelle tritt ein individueller Zug, die
Erhebung aus den bleischweren Fesseln der Materie und
der technischen Äußerlichkeit, der Übertritt vom Objek-
tiven in's Subjektive.

Auf nähere Einzelbeschreibungen besonderer Werke
kann man diesmal verzichten. Menzel, Lenbach, Karl
Marr sind Namen, die man kennt.

Lenbach hat sich wieder einen Separatsaal ein-
gerichtet. Immer geistvoll und verschieden weiß er die
Geheimnisse der „Alten" auf das Leben zu übertragen.
Velazquez, Van Dyck und wie es neuerdings scheint,
etwas von Gainsborough's Palette ist zu Ehren ge-
kommen. Mehr als einmal tauchte, bei Lenbach's neu-
alter Malerei, mir der Gedanke an die Berechtigung
einer Parallele zwischen ihm und Hans von Bülow —
dem gewissenhaften und in vieler Hinsicht doch selbst-
schöpferischen Interpreten der vergötterten Musikheroen
— auf. Bülow wusste Beethoven auswendig, wie Len-
bach seine alten Meister. Bülow schuf selbständig
Kunstoffenbarungen durch seine Orchesteraufführungen,
Lenbach malt mit der „Farben-Partitur" der Alten auch
selbständig. In diesem inneren Sinne ist der Vergleich
wohl zulässig.

Da ist eine junge Künstlervereinigung, mit ihrem
Domizil in Worpswede bei Bremen, welche, etwas
Böcklinisch angeregt, in einem Saal für sich ausstellt.
Schöne, koloristisch-stimmungsvolle Landschaften, nur
etwas auffallend gleichmäßig. Es ist dies ein Beweis da-
für, wie freundlich derartige Sonderbestrebungen innerhalb
der Kunstgenossenschaft aufgenommen werden und wie
der Nachwuchs hier Schutz findet und Gelegenheit, sich
frei auszusprechen.

Die Plastik war wohl von jeher des Glaspalastes
Stärke. Es sind Werke aus allen Eichtungen einge-
troffen. Die naturalistischen und individualisirenden
Anregungen, die von Frankreich und Italien ausgingen,
haben auch auf diesem Gebiet befruchtend gewirkt,
besonders im Porträt und im Tierstück. Dass die
Bildhauerei sich von Übertreibungen fern gehalten hat,

mag darin begründet sein, dass ihr Material an ge-
wisse Schranken gebunden ist und einer festeren Be-
grenzung unterliegt, als die malerische Kunst. Bei der
in herrlicher Bewegung und kolossaler anatomischer
Sicherheit aufgebauten Gruppe tanzender Mädchen von
Rombaux, bedauert man nur, dass sie nicht in Marmor
ausgeführt sind, denn Gyps ist — der Tod.

Die Österreicher waren und sind noch immer stark in
der Bildnerei. Ein feines Gefühl für Schönheit der
Form und korrekte Zeichnung ist das Hauptcharakte-
ristikum der dortigen Künstler. Auch der Maler. Nur
ist eine gewisse Blutarmut bemerkbar. Die tüchtigen
Wiener Künstler sind anerkannt, aber man vermisst die
frischen Triebe. Werden sie noch lange auf sich warten
lassen?

Des Müncheners Heinrich Wadare „Pallas Athene"
(als Ehrengabe der Allgem. deutsch. Kunstgenossen-
schaft zum 80. Geburtstag des Fürsten Bismarck) ist
bekannt.

Von den Franzosen hat Fremiet eine in versilberter
Bronze gegossene „Katzenmutter" geschickt, natura-
listisch, humorvoll und aufs Intimste beobachtet. Die
ausgestreckte Vorderpfote zeigt, dass der Künstler ein
Katzenfreund sein muss und die behagliche Grandezza
dieses arg geschmähten Haustieres verstanden hat. Er
kennt die „Katzenseele."

Die Katzenseele des Löwen ist in Geygers Bronze-
gruppe „Nilpferd im Kampfe mit einem Löwen" in
anderer Weise zum Ausdruck gekommen. Eine wild-
bewegte, vortrefflich naturalistische kleine Gruppe.

Das nächste Mal etwas Näheres über die Aquarelle
und die hervorragend tüchtige Schwarz - Weiß - Aus-
stellung.

II.

Die russische Abteilung kann sich eines bedeutenden
Werkes rühmen: Repin's Kosackenlager. Das Bild ist
mehrfach in Eeproduktionen bei uns erschienen, jetzt
tritt es seine erste Eundreise durch Europa an. Ein
Ultimatum des türkischen Sultans wird von den kraft-
übermütigen Söhnen der Steppe durch ein Antwort-
schreiben erwidert, wozu jeder der Umstehenden sein
Schärflein Hohn und Spott beisteuert. Der grinsende
Alte mit zahnlosem Kiefer, der puterrote Hetmann, der
die Fäuste gegen den Bauch drückt und in ein Lach-
gebrüll ausbricht, das sind Kassen typen, wie sie das
westliche Europa seit der Hunnenwanderung nicht mehr
gesehen. Der Gedanke an ein „vae victis" drängt sich
recht gewaltsam auf, wenn diese kraftstrotzenden slavischen
Nomaden, bei denen sich List mit Gewaltthat paart,
zu dereinstigen Besiegern der sinkenden westlichen
Civilisation ausersehen sein sollen! Als Künstler ein
Könner, monumental, breit, farbig, ist Eepin der Dar-
steller dieses ungebändigten, urwüchsigen Kraftprinzips,
ein geistvoller Eealist von markigstem Schlage.
 
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