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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 6.1895

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Schölermann, Wilhelm: Die Münchener Jahresausstellung im Glaspalast
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https://doi.org/10.11588/diglit.5782#0249

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485

Die Münchener Jahresausstellung im Glaspalast.

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Eechts und links von diesem bedeutenden Werke
hängen Porträts. Aus dem stämmigen Wuchs und den
breiten Backenknochen dieses Weibes spricht feste, harte
Willenskraft. Gekleidet in grobes Sacktuch mit um-
gehängter Jagdflinte, sieht sie mit einem Blick ruhiger
Entschlossenheit aus den kleinen Augen. Sie wird keines
Lagers von Eiderdaunen bedürfen, um ungestörten
traumlosen Schlaf zu finden, und wenn es unter freiem
Himmel wäre, auf der Steppe ihrer rauhen Heimat. Es
ist die Tochter des Künstlers. Wie weit Bepin auch
feinerer psychologischer Empfindung nachzuspüren im
stände ist, zeigt das interessante, sehr einfach gehaltene
Bildnis des russischen Dichters Fofonow (1888 gemalt).
Eine schmalbrüstige Gestalt, mit bleichen spitzen Ge-
sichtszügen, gegen die der nach oben gerichtete Blick
der scharfen Augen kontrastirt. So etwa könnte Schiller
auf der Karlsschule ausgesehen haben. In dem Halb-
schatten des Handgelenks, unter der Manschette, ist die
Farbe schon gerissen; da das Bild im übrigen völlig
intakt ist, dürfte diese eine Stelle vielleicht auf die
Anwendung von Lackfarben zurückzuführen sein.

Unter den Slaven ist Matkowski (Paris) bei einem
großen Familienbildnis in eine süßliche unerträgliche
Weichheit des Kolorits hineingeraten. Kräftiger ist die
„Zigeunerin".

Roubaud's koloristisch schöne „Plünderung eines
armenischen Dorfes", ein farbig und breit gesehenes
Atelier-Interieur von Müller (Petersburg), sowie drei
kleine aus Privatbesitz geliehene Manets älteren Datums
vermögen das Interesse zu fesseln. Die ehrliche Ein-
fachheit der Töne, die Man et als Bahnbrecher und
„ersten Pleinairisten" kennzeichnet, frappirt, wenn man
sich über die stark skizzenhafte Behandlung des kleinen
„Hafen von Boulogne" hinwegsetzen kann. Aber so
farbig leuchtend, wie wir es heute verlangen, ist es
nicht gewesen, wenn der Stich ins Dunkle, ja ins
Schwarze nicht lediglich auf Nachdunkelung zurückzu-
führen ist, was ich kaum annehmen möchte.

Die Schwarz-Weiß-Abteilung dürfte diesmal mit
das Gediegendste enthalten, was der Glaspalast aufzu-
weisen hat. Hier haben sich auch einige Secessionisten
friedlich mit eingefunden, die gleichzeitig Mitglieder des
Münchener Badir-Vereins sind. Auch eine Karlsruher
freie Vereinigung für Originalradirung ist da. Wie
das schon friedlich klingt! Später noch zum Schluss ein
Wort darüber.

Von Auswärts seien die Namen: BodHguez (Paris),
van der Volk (Amsterdam), Ludwig MicJmlek (Wien),
van Hoytema, Jules Ouiette, Walter Grane (London)
genannt. Aus Berlin Karl Koepping, und Albert Krüger.
Auch Willielm Leibi sandte drei seiner Federzeichnungen,
der Holländer Josselin de Jong eine superb kräftige Holz-
kohlenzeichnung („der Asche-Kärrner"). Zu dem Intimsten
und Besten gehören auch die 12 Illustrationen für
Chromolithographie aus Christi Leben (Lasset die Kind-

lein zu mir kommen etc.) von Kämpffer. Ein richtiger
Maler-Badirer ist Fritz Böhle mit zwei prachtvoll be-
handelten Tierstücken; er hat außerdem ein inter-
essantes, auf Dürer bezügliches Ölbild (Mittelalterlicher
Reitersmann) gemalt. Die auf das herbe Mittelalter
germanischer Kunst zurückgreifende Form, welche jetzt
häufiger unter den „Neuesten" auftaucht, findet sich auch
bei Luis Gorinth's Kreuzabnahme („Und es war der
Rüsttag und der Sabbath brach an"). Dieser Zug fesselt
mich ungemein. Auch Exter (bei der Secession) und
andere kommen in diese Formensprache hinein. Als
schlechtes Prognostikon für die Zukunft möchte ich dieses
etwas archaisirende Bestreben nicht auffassen. Eine
herbe Kunst ist keine schlechte Anregerin, denn das
Herbe ist stets entwicklungsfähig und aufstrebend, nicht
decadent. Nur darf es natürlich nicht beim Archaisiren
bleiben!

Unter der Fülle von prächtigen Radirern mögen
hier noch kurz Maximilian Dasio, Hans am Ende,
Nikolaus Gysis, Oswald Kresse, Fritz Overbeck (Worps-
wede), Wilhelm Rohr und Lorenz Müller-Mainz heraus-
gegriffen werden, dessen letzteren Tier- und Porträt-
zeichnungen zu dem Saubersten und zugleich Lebendigsten
gehört, was ausgestellt ist. Das Nashorn und der
Löwenkopf sind eines Richard Friese würdig, nur nicht
ganz so genial. Außerdem haben sämtliche Herren,
welche für die „Fliegenden Blätter" arbeiten, die Ori-
ginale ihrer letzten Tusch- und Federzeichnungen aus-
gestellt. Man kann daraus wieder die Höhe sehen, auf
der sich dieses unser bestes Witzblatt in Bezug auf
seine künstlerischen Mitarbeiter zu halten versteht.
Harburger hat übrigens auch ein kleines hellgehaltenes
Genrebild in Öl zur Ansicht gebracht, das ihn von einer
ungemein einfachen und liebenswürdigen Seite zeigt.

Im zusammenfassenden Rückblick darf man diesmal
zunächst den allgemeinen Eindruck betonen, dass sich
die Ausstellung im Glaspalast von der Prinzregenten-
straße weniger im Prinzip unterscheidet, als in ver-
gangenen Jahren. Über dieses Resultat brauchen beide
Teile sich nicht mehr aufzuregen. Es ist ein natür-
liches, gutes.

Über die Secession ist hier nicht der Ort zu de-
battiren, und es sei daher nur erwähnt, dass sie für mich
die gewähltere, anregendere von beiden Ausstellungen
bildet. Es weht ein Zug von Alpenluft durch die Räume
in der Prinzregentenstraße und man glaubt das Plät-
schern und Rauschen eines frischklaren Bergquells zu
vernehmen, der die Nerven anspannt ohne sie zu er-
müden. Aber es wächst auch innerhalb der Genossen-
schaft eine Anzahl jüngerer Künstler heran, welche
derselben subjektiven Bethätigung und Ausdrucksfreiheit
huldigt und zu ihnen haben sich manche ältere Künstler
gesellt, die mit der Zeit Fühlung behalten wollen.
Ein Atomchen solider, spießbürgerlicher ist der Glas-
palast noch, aber die eigentliche Marktware — dieser
 
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