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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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Braun, E.: Die Würzburger Tiepolo-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0018

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Die Würzburger Tiepolo-Ausstellung.

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vor allen Dingen durch die specifiseh modernen Quali-
täten, die unleugbar vorhanden sind und die in seinem
Natursinn, seiner Farbenfreude, seinem Pleinairismus sich
äußern.

Verschiedene der Bilder sind offenbar in Würzburg
entstanden; teils äußere, teils innere Gründe zwingen
zu diesem Schlüsse. Da ist gleich eine „Flucht nach
Ägypten" (aus dem Besitze des Freiherrn von Beinach), ein
Vorwurf, der bekanntlich zu den bevorzugtesten des Meisters
gehörte. Zeichnerisch erinnert das Bild an Dürer, stilistisch
und in der Koloritbehandlung an den großen Regensburger
Alb recht Altdorfer. Den genialen Italiener ließ die
starke Beeinflussung, die er bei uns von diesen Beiden em-
pfing, nicht ruhen; er zollte ihnen seinen Tribut mit
diesem Bilde. Es ist in Tempera, wie die meisten seiner
hier ausgestellten Bilder, beinahe weiß gemalt und licht
lasirt; die Schatten und Konturen sind sodann mit Braun-
rot eingezeichnet. Ebenfalls stark zeichnerisch behandelt
ist und den charakteristischen ungemischten Temperastrich
zeigt der Christus am Ölberg aus der Würzburger
Universität, der vielleicht Werkstattarbeit ist. Über-
haupt beweist auch die Würzburger Ausstellung wieder
einmal, dass der private Kunstsammler seinen Bildern
mit aller Gewalt einen berühmten Vater geben muss,
sonst ist ihr Wert in seinen Augen geringer. Aber
trotz dieser Taufen haben an manchen dieser „Tiepolo's"
fremde Hände, im günstigen Falle die der Söhne, mit-
geholfen.

Professor Thedy in Weimar schickte eine zart und
fein gemalte Opferscene, die noch stark an Paolo Veronese
erinnert. Eine Lucrezia desselben Besitzes ist etwas
sentimental und trocken. Ein Gigantensturz von Pro-
fessor Helfrieh ist ein flottes, großgedachtes Werk, reif
und schön ist ein Bild des Kreisrichters Conradi, „Antonius
und Cleopatra", vielleicht in den Beginn des Würz-
burger Aufenthaltes fallend. Das Ölporträt eines alten
Mannes ist ein herrliches geniales Werk von wunderbar
impressionistischer Farbenwirkung; man denkt sofort an
Lenbach.

Zwei Sopraporten für die Residenz Armida und
Rinaldo, aus Tasso's Zaubergarten, sowie die „Familie
des Darius" und „Mucius Scaevola" sind echt venezia-
nische Rokokobilder mit ihrer leise störenden Senti-
mentalität. Geistvoll, skizzenhaft und impressionistisch ist
eine Karnevalscene in Tempera (von Merk in Frankfurt a.M.
ausgestellt). So konnte um die Mitte des 18. Jahrhunderts nur
noch ein Venezianer malen. — Aus dem Besitze des Herrn
von Guttenberg kommen zwei zusammengehörige Ölbilder,
„Christus am Brunnen" und „Jesusund die Ehebrecherin".
Für die beiden vornehmen Frauenköpfe hat offenbar das-
selbe Modell gedient. Auf dem Bilde mit der Ehe-
brecherin vermochte ich noch zu erkennen I . B . . . .
1751, also sind die Bilder in Würzburg entstanden. Auch
glaube ich den Frauenkopf auf der herrlichen Himmel-
fahrt Maria in der Würzburger Hofkirche wiederzufinden.

Die siegreich heimkehrende und von den Mitbürgern
begrüßte Judith, sowie das Gegenstück dazu, Jephta's
Heimkehr, sind zwei geistvolle, vortrefflich durchgeführte
und komponirte Bilder. Hervorragend ist das Helldunkel
des ersteren Bildes. Auch ein Christus am Ölberg bei
Kommerzienrat Kustermann-München zeichnet sich durch
diese Eigenschaften aus. Denselben Besitzer hat eine
außerordentlich feine geistreich komponirte Skizze zur
Kreuzschleppung. — Was die Handzeichnungen anbe-
langt, so sei nur kurz berichtet, dass die drei bekannten
Skizzenbücher aus der Würzburger Universitätssammlung,
sowie dasjenige aus dem Berliner Kupferstichkabinett
vorhanden waren: es sind Fundgruben, die auf ein reich-
begabtes, gottbegnadetes Künstlerschaffen Licht werfen.
Kunsthändler Clausen in Turin schickte ebenfalls eine
Reihe von Handzeichnungen, die „außer einigen wirklich
vortrefflichen und authentischen Blättern eine Menge
apokrypher, ja direkt stümperhafter Schülerversuche"
enthalten. Ich schließe mit den Worten meinen Be-
richt in der „Frankfurter Zeitung" (Nr. 245, Morgen-
blatt) über dieselben: „Hier wäre etwas mehr Kritik in
der Auswahl am Platze gewesen". Eine Rötelzeichnung
auf graugrünem Tongrund von Lorenzo Tiepolo, ein
derber Studienkopf, interessirt durch die gute Technik,
aber die Wucht, das Zwingende, Künstlerische des Vaters
ist ihm versagt. Hochinteressante Einblicke in die
Psychologie des Schaffens bei G. B. Tiepolo gewähren
die verschiedenen Entwürfe zur Flucht nach Ägypten;
es sind darunter ganz köstliche Stücke, meist ganz
flüchtige, reine Auffassungsstudien, die ohne jedes Detail
nur Wert auf die Betonung des Charakteristischen legen,
aber von individuellem Leben zucken, so z. B. das eine
Blatt, wo der Zug mit der hl. Familie um eine Felsecke
hervorkommt. Geistvolle Entwürfe zu den Capricci, ein
großgedachter, wuchtiger Höllensturz, tragen des Meisters
Handzüge und daneben eine Rötelskizze mit der Madonna,
dem Kind und dem kleinen Johannes, die ein ödes
stümperhaftes Machwerk ist, allem Anschein nach sogar
eine Pause; ebensowenig sind die drei Putten mit einem
Schilde in den Wolken ernst zu nehmen. Für echt
halte ich dagegen wieder zwei Rötelzeichnungen, Jo-
hannes der Täufer predigend und Christi Taufe, sowie
die Tröstung eines Sterbenden und eine Verkündigung.
Eine Schlangenanbetung der Juden und verschiedene
Götter vor Zeus kann ich kaum als inferiore Werkstatts-
versuche gelten lassen. Echt Tiepolo und entzückend
graziös ist der farbige Entwurf zu einer Kuppel, groß-
artig wuchtig ist die Rötelskizze eines entsetzt von oben
herabgeschleuderten Verdammten. Über diesem Blatte
liegt ein sehr fein ausgeführter architektonischer Ent-
wurf mit Figuren. Zum Schlüsse sind noch Radirungen
G. B. Tiepolo's und seiner Söhne, sowie Radirungen nach
seinen Werken zu erwähnen, die zum Teil Originale sind,
zum Teil dem soeben erschienenen Werke „Acqueforti dei
Tiepolo" von Ferd. Ongania in Venedig entnommen sind.
 
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