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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0043

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Bücherschau.

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süddeutsche Eokoko-Kirche veröffentlichen könne, oder
eine Verlagsbuchhandlung den Mut habe, ein solches
Bauwerk in allen Einzelheiten auf 40 Tafeln dem
Publikum vor Augen zu führen und dabei auf entsprechen-
den Absatz zu rechnen. Die Zeiten haben sich glück- |
licherweise geändert, die Anschauungen über „Zopf
und Rokoko" innerhalb des letzten Decenniums einen
völligen Umschwung erfahren. Gegenüber der alles
beherrschenden, überladenen und oft recht schwerfälligen
Eleganz des sogenannten deutschen Renaissance-Stils
der 70er Jahre ist die Einführung der leichten graziösen
Formen des Rokoko in vielen Fällen als eine Erlösung
zu begrüßen gewesen. Bei näherem Studium der Vor-
bilder entdeckte man sogar, dass die französische De-
korationsweise — von einem Stil kann in der Baukunst
wenigstens eigentlich nicht die Rede sein — in Deutsch-
land zu einer eigenartigen Ausbildung gelangt ist, dass
es auch ein deutsches Rokoko gegeben hat. Wenn
A. Springer noch im Jahre 1886 die Frage aufwerfen
konnte: lässt sich die Kunst des Rokoko bereits histo-
risch behandeln? so ist dies angesichts der Arbeiten
eines Dohme und Gurlitt, Aufleger und Trautmann, Riehl
und Hager heute zwar schon zu bejahen, die vorliegende
Arbeit beweist aber, wie viel der Special-Forschung
noch zu thun übrig bleibt und wie erfolgreich jeder
Spatenstich in die Tiefe ist. Sponsel lehrt uns in der
Amorbacher Kirche in der That ein bisher unbekanntes
„Prachtwerk deutscher Rokokokunst" kennen; seine
Publikation erscheint dabei gleich geeignet zum Studium
der eigenartigen Entwicklung des Rokoko in Süd-
deutschland wie zur praktischen Verwendung, als eine
Vorbilder-Sammlung von seltener Reichhaltigkeit und
Deutlichkeit.

Das Ergebnis der archivalischen Forschungen für
die Baugeschichte der im bayerischen Odenwald, nahe bei
Miltenberg a/Main, gelegenen alten Abteikirche lässt
sich in wenigen Worten zusammenfassen. Der Neubau
ist unter Beibehaltung der romanischen Fronttürme und
der Außenmauern des Langhauses im Frühjahr 1742
nach den Plänen des Kurmainzischen Generals von Welsch
(des Erbauers des Zeughauses und Palais in Mainz)
begonnen und im Herbst 1747 vollendet worden. Die
Fertigstellung der inneren Ausstattung, auf die Sponsel
mit Recht das Hauptgewicht legt, scheint sich noch
bis zum Jahre 1751 hingezogen zu haben. Hierbei sind
aktenmäßig thätig gewesen: der Augsburger Maler
Matthäus Günther aus Untergeißenberg bei Wessobrunn,
den wir als einen der begehrtesten und tüchtigsten
Fresko-Maler der Zeit kennen lernen, und die drei Wesso-
brunner Stuccatoren Übelhcrr und Gebrüder Feichtrnayr.
In letzteren sieht Sponsel die Hauptträger eines speci-
fisch deutschen Rokoko im Gegensatz zu Cuvillie und
Zimmermann, den Vertretern des französischen Rokoko
in Süddeutschland. Ein längerer Abschnitt ist denn
auch der Thätigkeit und den Eigentümlichkeiten dieser

aus den Vorarbeiten Riehl's, Trautmann's und besonders
Georg Hager's bereits bekannten Wessobrunner Schule,
d. h. einer in mehreren Familien und Generationen im
bayerischen Orte Wessobrunn ansässigen und seit der
Mitte des XVII. bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts in
Süddeutschland viel beschäftigten Stuccatoren-Gruppe ge-
widmet. Den stilkritischen Untersuchungen des Ver-
fassers kommen seine früheren, an Ort und Stelle vorge-
nommenen Studien über die Hauptmeister des Pariser
Rokoko hierbei sichtlich zu gute. Den Hauptunter-
schied in der Entwicklung des französischen und deut-
schen Rokoko führt Sponsel auf die Verschiedenheit
des Materials zurück. In Frankreich haben sich die
neuen Formen durch den Holzschnitzer eingebürgert, in
Deutschland durch den Stuccateur. Hinzu kommt, dass
die Rokoko-Dekoration in Frankreich zumeist in kleinen
Wohnräumen, in Deutschland in Kirchen und Prunk-
sälen ihre Entwicklung gefunden habe, wie auch die
deutsche Vorliebe für derbere und naturalistische Form-
gebung beim Vergleich beider Stilarten nicht unberück-
sichtigt zu lassen sei. „Das deutsche Rokoko-Ornament
hat darum einerseits größere, mächtigere Formen, die
der Baukunst nahe stehen, andererseits ist es viel will-
kürlicher und freier." Die daraus entspringenden Vor-
züge und Mängel lassen sich gerade in Amorbach
deutlich verfolgen. So reizend und wirkungsvoll die
Pilaster-Krystalle und die Umrahmungen der kleineren
Deckenbilder, so unmotivirt und unverhältnismäßig die
Schnörkel über den Pilastern und Schlusssteinen der
Arkaden, so elegant die Bekleidung der Kappenflächen,
so derb die Aufsätze der Umrahmung an den Oratorien-
fenstern im Chorhause. Auch an den Seitenaltären
tritt manches Unvermittelte und manches Übertriebene
auf, während das Chorgestühl eine auffällige Mäßigung
zeigt. Von eigenartigem Reiz ist das figürliche Bei-
werk, eine Specialität der Wessobrunner Meister, auf
die Sponsel ausführlich eingeht. Zahllose Putten, Genien
und Engel schweben und sitzen, knieen und klettern
™f den Gesimsen, Schnörkeln und Rahmen umher, alle
i« Stuck modellirt und von ungemeiner Lebhaftigkeit
UI1<I Natürlichkeit. Nicht minder gelungen erscheinen
die großen Altar-Figuren. Indem der Verfasser in ge-
bührender Weise die zahlreichen übrigen Bauten der
Zeit, an deren Ausstattung unsere Wessobrunner Meister
thätig gewesen sind, zum Vergleich heranzieht, lässt er
leider das Verhältnis des süddeutschen zum norddeutschen
Rokoko ganz unberücksichtigt. Die Entwicklungs-
oedingungen des neuen „Stils" sind dort denen des
französischen Rokoko fast analoge gewesen, und doch
hat sich z. B. in den Knobelsdorf sehen Bauten zu Pots-
dam eine ebenso eigenartige Formgebung herausgebildet,
wie an den Neumann'schen Bauten in WTürzburg oder
Bruchsal und an denen der Wessobrunner Meister.
Auch die von Semper bereits aufgeworfene Frage über
den Ursprung des Rokoko in Frankreich oder Deutsch-
 
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