Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

DOI Artikel:
Schleinitz, Otto von: Die Winterausstellungen in London, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0136

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
259

Die Winterausstellungen in London.

260

bilder gemalt hat. Allerdings ist letztere Gattung der
Natur des Künstlers angepasst, d. h. es sind mehr oder
minder allegorische Genrebilder, so z. B. „Die Kutte
macht noch keinen Mönch", oder „Wenn Armut zur
Thüre hereintritt, fliegt die Liebe zum Fenster hinaus".

Verhältnismäßig leicht wird es, das gesamte Schaffen
eines bedeutenden Künstlers zu übersehen, wenn man
seine meisten Werke in einer Sonderausstellung vor sich
sieht. Bei der vorliegenden Beurteilung gewährt ferner
der Umstand ein wichtiges Hilfsmaterial, dass durch die
generöse Schenkung von Watts sich einige Dutzend der
besten Porträts von seiner Hand in der National-Portrait-
Gallery zum vergleichenden Studium seines Könnens
heranziehen lassen.

Wenn jeder Mensch im gewöhnlichen Leben schon
der vielseitigsten Kritik unterliegt, so gilt dies noch
in erhöhtem Maße von dem Künstler. Ich habe mir
mein Urteil über Watts aus dem zusammengesetzt, was
ich über ihn gelesen und gehört, was er mir persön-
lich mitgeteilt und was ich von seinen Werken gesehen
habe. Die gesamte Presse und Kritik seines Vater-
landes kommt zu der ausnahmsweise seltenen und ein-
mütigen Ansicht, dass trotz Fehlern und Irrtümern
Watts unter den lebenden englischen Meistern als der
Erste genannt werden muss. Um positiv Farbe zu be-
kennen und um kurz zu sein: ich schließe mich diesem
Urteil an.

Selbstverständlich hat es mich ungemein interessirt,
aus Watts' Munde seine offene Selbstkritik zu hören.
Nur da, wo mir berechtigte Einwendungen am Platz
erschienen, resp. Erläuterungen notwendig werden, unter-
breche ich seine Äußerungen. Er sagte: „Ich habe nie
einen Lehrer oder eine Stunde gehabt. Niemals in
meinem Leben (selbst in Italien), fertigte ich irgend
eine Kopie an. Ich besitze Religion, vor allem aber
Humanität, und kenne kein Dogma. In meiner langen
Künstlerlaufbahn trat niemals eine Entwicklung oder
Änderung ein; ich male heut, wie ich immer gemalt
habe, und arbeite z. B. seit 30 Jahren an demselben
Bilde." Im Gegensatz zur allgemeineren englischen
Kunstkritik, die von der Entwicklung des Meisters,
seinen verschiedenen Übergängen und Phasen spricht,
muss ich offen bekennen, dass die Selbstkritik Recht
behält. Hinsichtlich der Sujets wurde bereits bemerkt,
wie dieselben in ihrer Vielseitigkeit in allen seinen
Lebensabschnitten in bunter Reihe eine Kette bilden,
ohne dass der Meister sich an einen bestimmten Stoff
gebunden fühlte. Er fuhr fort: „Ich kenne nur Sym-
bolik, alles ist symbolisch, vornehmlich aber jede Kunst,
ja die Sprache selbst." Auch hierin, d. h. weder in der
symbolischen Ausdrucksweise noch im Stil und in der
Farbe hat sich Watts geändert. Er hat in allen seinen
sogenannten Epochen gute, weniger gute und kraus
durcheinander vorzügliche Werke geschaffen. Von An-
fang bis zu Ende ist vielfach in seinen Bildern der

Schlüssel zu der dargestellten Fabel schwer zu finden. In
der Vorrede zum Katalog entschuldigt der Altmeister
sich hinsichtlich dieses Übelstandes damit, dass der
Hauptzweck seiner idealisirenden Kunst der sei, zu
lehren, zu erziehen, Moral zu predigen, und dies nur
symbolisch geschehen könne, denn Leben und Tod seien
schon an und für sich Mysterien. In seinen Gemälden
„Zeit und Vergessen", „Liehe und Tod", „der Tod" ist
die Abweichung von der üblichen Auffassung besonders
bemerkenswert. „Die Zeit" ist stets als ein kräftiger,
blühender junger Mann dargestellt, d. h. also eigentlich
als die Negation der Zeit, als die „praesentia stans"
und nicht etwa „fluens", die sich weder in der Zukunft
erneuert noch in die Vergangenheit abfließt. Der Tod
ist in der Regel in den vorgeführten Werken eine weib-
liche Gestalt, die uns Zuflucht und Trost in ihrem Reich
gewährt. Mit unparteiischer Begrüßung empfängt sie
alle gleichmäßig, den Krieger, der sein Schwert, den
König, der seine Krone, und den Lahmen, der ihr seine
Krücken zu Füßen legt. Eine arme Frau mit einem
kleinen Kinde stützt sich auf das Knie der Hauptfigur.
Dieses Symbol des Todes spricht denn doch tiefer zu
uns, als alle grimmigen Skelettfiguren, die uns allein
von der äußeren menschlichen Hülle erzählen. Hier
findet sich wenigstens eine Art von Ausblick in das
Jenseits, wenn gleich seine Thore auf dem vorliegenden
Bilde durch die im Hintergrund auftauchenden Kolossal-
figuren des Schweigens und des Mysteriums bewacht
werden. Entgegengesetzt der häufig wiederkehrenden
Auffassung, dass gerade der Tod mitunter die verschont,
die ihm folgen wollen, ist hier niemand ausgenommen.
Von sonstigen symbolischen Bildern mögennoch,, Hoffnung ",
„Orpheus und Eurydice", „der Glaube", „Eva", „der
Friede", „Barmherzigkeit", „der reiche Jüngling",
„Triumphirende Liebe", „Sic transit", „Leben und Liebe",
„Sympathie" und „das Chaos" genannt werden.

Die letzten Worte des Meisters bestanden in dem Aus-
ruf: „Ich suche nur schön zu malen. Ich arbeite jetzt
hauptsächlich für den Ruhm und die Ehre Englands, denn
alles, was Sie hier sehen, vermache ich der Nation! Ich
beanspruche in meinen idealen Bestrebungen als Maler
ebensogut die Einbildungskraft des Publikums, wie dies
auf anderem Gebiet der Dichter und Musiker verlangt."
Auf meinen Hinweis, dass zwei Werke „Mammon", eine
mit Goldgewändern überladene Figur, und der Leichnam
eines jungen Mädchens, das sich in der Themse ertränkt
hat, nicht gerade schön seien, erfolgte eine mir zu-
stimmende Erklärung. In Betreff der Anwendung der
Farbe lässt sich Folgendes behaupten. In der Regel sind
die Gemälde des Künstlers harmonisch und einheitlich
gestimmt, aber untereinander an Wert sehr verschieden.
Trotz der Ansicht des Meisters, dass er niemals etwas
gelernt habe, behaupte ich, dass er seine gelegentliche
Farbenglut den Italienern zu verdanken hat. Nach
seinem Aufenthalt in Italien wechselt dann thatsächlich,
 
Annotationen