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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 8.1897

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Lier, Hermann Arthur: Die internationale Kunstausstellung in Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.5776#0256

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Die internationale Kunstausstellung in Dresden.

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Arbeiten aufgenommen haben, die schon anderwärts,
namentlich in München und Berlin, ausgestellt waren.
Dieser Umstand erleichtert uns jedoch die Mühe der
Berichterstattung wesentlich, da es unnötig erscheint,
Bilder und Statuen eingehender zu würdigen, die schon
einmal in der „Kunstchronik" besprochen sind. Wir
wollen daher nur diejenigen Stücke hervorheben, die hier
noch nicht genannt sind, und haben es dabei zunächst
mit der Abteilung der plastischen Werke zu thun, die
in Dresden, wenigstens insoweit das Ausland in Betracht
kommt, in so hervorragender Weise beschickt worden
ist, wie es bisher in deutschen Ausstellungen nur selten
der Fall war.

Die Hauptmasse der Bildhauerarbeiten hat man in
der großen Mittelhalle und in dem an die Restauration
angrenzenden hinteren Mittelsaal untergebracht und
namentlich den ersten dieser beiden Eäume durch gärt-
nerische Anlagen, Verkleidung der unteren Wände mit
grünem Reisig und Drapirung der hohen Fenster mit
hellgrünen Gazebehängen in einen äußerst stimmungs-
vollen Salon umgewandelt, in dem die einzelnen Statuen
und Gruppen höchst vorteilhaft zur Geltung kommen.
Wandelt man durch diese große Halle, so bemerkt man
sofort, dass die belgische Plastik in ihr und überhaupt in
der ganzen Skulpturenabteilung den Ton angiebt. Und in
der That sind noch niemals in einer deutschen Ausstellung
so viele und bedeutende Werke der neuesten Brüsseler
Bildhauerschule gezeigt worden. Nur ganz wenige aus
der Reihe von Künstlern, die in den letzten Jahrzehnten
Brüssel mit einer Fülle von Bildwerken ausgeschmückt
haben, fehlen in der Ausstellung Da ist zunächst der
Vläme Jef Lambeaux mit den zwei Kolossalgruppen der
„Trunkenheit" und der „Ringer", die beide höchst
temperamentvoll erfasst, aber zu unruhig gehalten sind
und obendrein zu sehr posiren, um in jeder Hinsicht zu
befriedigen, während ein älteres, gleichfalls nach den
herkömmlichen Begriffen ziemlich gewagtes WTerk des-
selben Künstlers, die Bronzegruppe: „Der Kuss", im
Besitz des Museums zu Antwerpen, so graziös gehalten
und liebenswürdig empfunden ist, dass die Bedenken
gegen die gewagten Bewegungen des Liebespaares unter-
drückt werden müssen. Da ist ferner Jules Lagae mit
der streng naturalistischen Gruppe zweier ermatteter
Greise, die zur „Sühne" für schwere Schuld gefesselt
und durch einen Ring aneinander geschmiedet eine Wall-
fahrt machen müssen, da ist Charles Samuel mit seiner
anmutigen Komposition von Ulenspiegel und Nele vom
Denkmal des Dichters Charles de Coster, das in einer
Vorstadt von Brüssel aufgestellt ist, und Ouillaume
Charlier mit zwei dem Gegenstande nach verwandten Gips-
gruppen: „Großmutter" und „mütterliche Besorgnis", die
sich durch Innerlichkeit und Schlichtheit der Darstellung
sowie durch sorgfältige Durchführung gleich vorteilhaft
auszeichnen. Noch bedeutender erscheinen die Arbeiten
Pierre Charles van der Stappen's. Er ist ein Porträt-

bildhauer ersten Ranges nnd ein vorzüglicher Charak-
teristiker, scheint sich aber seinen Modellen gegenüber
kühl zu verhalten und nur ihren Verstand, nicht aber ihre
Seele ins Auge zu fassen. Seine beste Leistung in
Dresden ist die Gruppe zweier schlafender Arbeiter, die
sich direkt auf dem Pflaster zur Ruhe niedergelegt haben.
Er nennt sie die „Erbauer der Städte" und will in ihnen
typisch das harte Los der modernen Arbeiter schildern.
In dieser Hinsicht berührt er sich mit seinem Freund Con-
stantin Meunier, dem man ein besonderes Kabinett für
seine Statuen und Gemälde eingeräumt hat. Meunier's
Thema ist gleichfalls der moderne Arbeiter und zwar
der Minenarbeiter, dessen Thun und Treiben der Künstler
in Löwen, in dem Hauptdistrikt der belgischen Kohlen-
und Hochofenindustrie, durch tägliche, intimste Berührung
kennen gelernt hat. Meunier fasst ihn aber nicht genre-
haft auf, sondern stellt ihn ähnlich, wie Zobi im
„Germinal" gethan hat, als einen Heros der Arbeit hin;
er giebt nicht einzelne Individuen mit scharf aus-
geprägten Charakteren, sondern stark stilisirte Typen,
und nähert sich durch dieses Verfahren, das von allem
Nebensächlichen absieht, dem Vorbilde der Griechen und
Michelangelo's. Jedenfalls ist Meunier als Bildhauer eine
höchst bemerkenswerte Specialität, ja er verrät in einzelnen
seiner Figuren sogar entschiedene Größe; als Maler
kommt er jedocli über das Milieu nicht hinaus und er-
müdet durch den schmutzigen, von Kohle und Ruß ge-
schwängerten graubraunen Ton seiner Ölgemälde und
Pastelle, die sämtlich nur den Schauplatz schildern, auf
dem die Helden seiner Bildnerei ihre mühselige Arbeit
verrichten.

Neben den belgischen Bildhauern verdienen die fran-
zösischen eingehendes Studium. An ihrer Spitze steht
August Rodin mit seiner zwar stark skizzenhaften, aber
doch fabelhaft ähnlichen Büste Viktor Hugo's. Dann
folgt Ernest Barrias, der seinen bekannten jugendlichen
Mozart, der die Geige stimmt, aus dem Luxembourg in
Paris ausstellt, Albert Bartholome mit einem jungen
Mädchen, das sich knieend die Haare macht, der bereits
verstorbene Jean Carri.es mit dem Kopf des jugendlichen
Ludwig des Heiligen, Paul Maurice Dubois mit der
äußerst lebendigen Büste Pasteur's, der Tierbildner Em-
manuel Fremiet, dessen das steinerne Zeitalter repräsen-
tirender männlicher Akt aus dem Pariser Jardin des plantes
zu seltsam anmutet, um gefallen zu können, Theodore Louis
Auguste Riviere mit zierlichen Arbeiten in Marmor, Elfen-
bein und Bronze, Louis Oscar Roty, der ausgezeichnete
Medailleur, mit einem wundervollen Marmorrelief, das
die Mutterliebe verherrlicht, und endlich Rene de St.
Marceaux mit einer fein durchmodellirten Mädchengestalt,
die gähnend die Arme ringt, und die nicht ganz glück-
lich als die „Morgenröte" bezeichnet ist. Die Engländer
sind durch Gilbert Boyes, Alfred Drury,Edw. Onslow-Ford
und A. Legros leidlich gut vertreten, während die Italiener
wenigstens durch die Büsten und Figürchen des Prinzen
 
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