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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 15.1904

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Stiehl, Otto: Kunst und Wissenschaft in der Denkmalpflege
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5900#0069

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121

Bücherschau

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gleichen darauf aus, die vor etwa 100 Jahren ge-
machten Fehler soweit möglich noch gut zu machen.
Dem Versuch, die auf gesunderer Bahn befindliche
Denkmalpflege auf solchen wesentlich kunsigeschicht-
lichen Standpunkt zurückzuschrauben, muß im Namen
der Kunst der entschiedenste Widerspruch entgegen-
gesetzt werden.

Was soll man aber zu den heftigen Angriffen
sagen, mit denen der Berichterstatter die Architekten
wegen angeblicher Nichtachtung der historischen
Wissenschaft bedenkt? Der Versuch für den törichten
Ausspruch eines obskuren und ungenannten Schrift-
stellers einen ganzen Stand, der wahrlich Gediegeneres
reichlich aufzuweisen hat, verantwortlich zu machen,
ist so schreiend unsachlich, daß er keiner eingehenden
Widerlegung bedarf. Bei den übrigen allgemein
gehaltenen Vorwürfen fragt man sich aber erstaunt,
worauf sie denn eigentlich beruhen sollen? So
scharfe Worte sollte man ohne Begründung nicht
für möglich halten und jede Begründung fehlt ihnen!
In Wirklichkeit liegen auch hier die Verhältnisse
wesentlich anders, als der Bericht annimmt. Der
Gedanke der zwei Provinzen, in denen die Künstler
und Historiker getrennt wohnend, gegenseitig ihre
Sprache nicht verstünden, ist nicht ganz zutreffend.
Das Maß von Wissenschaft, das in der Denkmal-
pflege für das Verständnis deutsch-mittelalterlicher
Kunstgeschichte erforderlich ist, ist wahrlich nicht so
groß, daß der Architekt, soweit er überhaupt Neigung
zu solchen Dingen hat, nicht den historischen Aus-
einandersetzungen leicht folgen könnte. Er braucht
dazu wirklich keine große Umwälzung seines Inneren.
Wenn er dann aber außer den historischen Über-
legungen noch andere Merkmale zur Beurteilung
heranzieht1), Merkmale, die tatsächlich dem Historiker
schwer zu beherrschen und oft unverständlich sind,
so verdient er deshalb keineswegs Bezeichnungen wie
»ahnungslos« u. s. w. Auch der rein philologisch
geschulte Historiker sollte dem, was von Architekten
für die Geschichte unserer deutschen Kunst durch
Sammeln und Verarbeiten reichen Stoffes geleistet
worden ist, weniger absprechend gegenüberstehen.

Daß aus vorstehend geäußerten Anschauungen
auch wesentlich andere Folgerungen für die Vor-
bildung zur Denkmalpflege sich ergeben, liegt auf
der Hand. Die Rücksicht auf den mir zur Verfügung
stehenden Raum muß mich davon abhalten, hierüber
an dieser Stelle weiteres auszuführen.

Steglitz-Berlin. O. STIEHL.

BÜCHERSCHAU
Meyers Großes Konversations-Lexikon. Sechste Auf-
lage. Leipzig 1902.
Die Zeiten sind noch nicht lange vorüber, wo es der
Gelehrte beinahe für seiner unwürdig hielt, zum Konver-
sations-Lexikon zu greifen. Heute gehört eins dieser
»Nachschlagewerke des allgemeinen Wissens« ebenso zum

1) Ich darf für das Nähere hier wohl verweisen auf
die in ihrer Art typische Auseinandersetzung, die ich in
der Beilage zur Münch. Allg. Zt. 1902 Nr. 102 und 200
für einen Sonderfall gegeben habe.

eisernen Bestände jeder Hausbibliothek wie etwa ein
Handatlas oder die Wörterbücher der klassischen und
modernen Sprachen. Dank dem Wettbewerbe zweier
großer Firmen, die gewillt und gezwungen sind, sich bei
jeder neuen Auflage gegenseitig zu überflügeln, und dank
der Kaufkraft unseres Publikums, die immer wieder neue
Auflagen ermöglicht, sind die deutschen Enzyklopädien
seit langem Musterwerke ihrer Gattung.

Der neueste »Meyer«, von dem uns die ersten vier
Bände (A-Differenz) vorliegen, zeigt auch auf dem kunst-
wissenschaftlichen Gebiete wieder ein rüstiges Fortschreiten
zur Vollkommenheit. Die beiden großen Aufsätze »Archi-
tektur« und »Bildhauerkunst« sind in manchen Einzelheiten
den neuesten Forschungen entsprechend berichtigt und
bis auf die allerneueste Zeit ergänzt worden. Bei den
Tafeln zu dem zweiten sind nicht nur eine ganz be-
deutende Anzahl neuer Abbildungen (darunter Werke
von Klinger, Straßer, Maison, Rodin, Meunier, Lagae)
hinzugekommen, sondern auch die älteren fast durchweg
durch vollkommenere ersetzt worden. Bei der Architektur
hat man die neuen Abbildungen auf die einzelnen Städte
verteilt. So finden wir die Tafeln »Berliner Bauten« um
das prächtige Land- und Amtsgericht von Schmalz, den
Equitable-Palast von Schäfer, ein Schulgebäude von Hoff-
mann, den Dom und die Kaiser Wilhelm-Gedächtnis-
kirche vermehrt, während der Messeische Bau für Wert-
heim wohl für die in Aussicht gestellte Tafel »Waren-
häuser« aufgespart worden ist. Ganz neu sind zwei
Seiten »Berliner Denkmäler« mit Proben der allerdings
nur zum geringsten Teil erfreulichen Massenproduktion
der jüngsten Zeit auf diesem Gebiete. Bei den Artikeln
über einzelne Künstler ist mir zunächst ein vermehrtes
Streben nach Objektivität aufgefallen. Während wir uns
in den Kunstgeschichten individuelle Urteile gern gefallen
lassen, wünschen wir hier Tatsachen und nicht Ansichten
zu finden. Artikel wie die über Angeli, Brendel, Constable
sind als musterhaft zu bezeichnen; andere sind freilich
von dem Ideal noch etwas entfernt. Ganz wird sich der
persönliche Standpunkt des jeweiligen Mitarbeiters natürlich
nicht verleugnen lassen, schon in der Auswahl, die er trifft,
und in dem Räume, den er jedem einzelnen zumißt. Hin und
wieder wird man hier mit ihm rechten können, so ob
Männer wie die Italiener Barzaghi und Bertini notwendig
waren, ob Karl Becker so ausführlich behandelt zu werden
brauchte, warum von den modernen Franzosen gerade
Aublet so liebevoll bedacht worden ist. Allseitige Zu-
stimmung wird die Aufnahme der Deutschen Adolf Brütt
und Ludwig Dettmann, der Franzosen Bartholome und
Chasseriau, des Belgiers Courtens finden. Auch der
große Zinngießer Briot und der Stammvater der modernen
Möbelarchitekten Chippendale verdienen vollauf ihren Platz.
Degas scheint nur mit einigem Widerstreben aufgenommen
worden zu sein. Für minder unentbehrlich wird man
vielleicht den Marinemaler Bohrdt und den amerikanischen
Allerweltskünstler Bridgman halten. Vermißt habe ich
den braven Frankfurter Anton Burger, den Holländer
Bosboom, Eugene Burnand, der unter den französischen
Schweizern jetzt wohl den ersten Platz einnimmt, die
Franzosen Carriere und Cazin. Auch den Architekten
Beltrami und Abadie (dem Erbauer der Sacre-Coeur-Kirche)
hätte ich einige Zeilen gewidmet und bei Chaplain und
Cheret wenigstens auf die Artikel »Medaillen« und »Plakat-
kunst« verwiesen. Bei Ford Madox Brown fehlt sein
volkstümlichstes Bild »Die Arbeit«, bei Delacroix ein
Hinweis auf seine Ausschmückung der Bibliothek des
Palais Bourbon, bei Baltard hätten seine Verdienste als
Eisenkonstrukteur wohl hervorgehoben werden können.
Die Literatur ist überall sehr sorgfältig und bis auf die
 
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